Schattenwandler 02. Gideon
an jene Göttin glaubte, die diese drei Gestalten darstellten, zutiefst abgestoßen und angeekelt. Und auch von der Mischlingsfrau spürte Legna ähnliche Gefühle.
Die mittlere Position gebührte traditionell der Mutter. Falls Ruth zu einer der Anführerinnen dort gehörte, stand sie wahrscheinlich in der Mitte. Das würde ihrem Wunsch nach Vergeltung für ihre betrogene Tochter entsprechen.
Legna versuchte, die Emotionen von den drei Frauen auf der Bühne einzufangen, aber sie wagte es nicht, allzu viel Kraft einzusetzen. Sie hatte keinen Zweifel, dass es sich bei den drei Gestalten um sehr mächtige Frauen handelte. Dort auf der Bühne stand eine Nekromantin, die zwanzigmal mächtiger war als der Nekromant, den Legna im Oktober vernichtet hatte. Und das war auch nur deswegen so leicht gewesen, weil sie den Magier hatte überraschen können.
Doch Legna war sich ganz sicher, dass eine von denen eine Dämonin war. Insofern hatten sie recht behalten. Und als die drei Frauen auf der Bühne die Hände hoben, um die Kapuzen abzustreifen und zu ihrem Publikum zu sprechen, ließ Legna die mittlere Gestalt nicht aus den Augen.
Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass die Darstellerin der Mutter nicht Ruth war. Schnell warf sie einen Blick auf die anderen beiden.
Die dämonische Verräterin stand auf der Position der Jungfrau.
„Mary!“, zischte Legna. Nicht die Mutter, sondern die Tochter selbst. Die Mutter unterstützte sie allerdings ganz bestimmt, da die Erddämonin mit Sicherheit nicht die Macht oder die Weisheit besaß, so ausgefeilte Überfälle zu planen. Ruth verbarg sich hinter ihrer Tochter, das wusste Legna so sicher, wie sie ihren Kraftnamen kannte. Mary besaß nicht das Wissen von Ruth, unabhängig davon, was sie all die Jahre im Haus ihrer Mutter miterlebt hatte. Und es waren viele Jahre gewesen. Das dumme Mädchen war immer noch eine Anfängerin, die nicht viel mehr wusste als das, was ihre Mutter ihr erzählt hatte. Und offensichtlich hatte ihre Mutter ihr genug erzählt, um Hass bei ihr zu schüren und Rachegelüste zu wecken, die sich gegen Jacob richteten.
Legna erinnerte sich, dass das Mädchen nicht von einem Siddah aufgezogen worden war, da ihre Mutter sich bei der Geburt des Kindes geweigert hatte, einen zu bestimmen. Und jetzt stand sie dort als Paradebeispiel dafür, warum diese Form der Erziehung so wichtig war. Ruth hatte dem Mädchen mit Sicherheit nie etwas über Respekt und Temperament beigebracht, ganz zu schweigen von den moralischen Grenzen, die ein Dämon seiner Macht setzen musste.
Die Jungfrauendämonin war eine Erddämonin, das mächtigste Element, aus dem ein weiblicher Dämon geboren werden konnte neben dem Element des Feuers. Und dass es so verschwendet wurde, verursachte Übelkeit bei Legna. Schlimmer noch, Mary hatte ihre Fähigkeiten für diese menschlichen Abarten eingesetzt. Noah hatte immer Scherze gemacht über Verrat, aber das war der größte Betrug, den man sich vorstellen konnte. Nie wäre ihm so etwas in den Sinn gekommen. Nicht einmal im Scherz.
Job, Marys Vater, würde sich im Grabe umdrehen. Zum Glück hatte er nicht lange genug gelebt, um Zeuge einer solchen Blasphemie zu werden. Die Ehre von Ruths ganzer Familie wurde in den Dreck gezogen werden, und davon würde sie sich nicht so schnell erholen. Ruth würde sich ebenso wie Mary für ihre Taten verantworten müssen. Auch wenn Ruth nicht direkt daran beteiligt war, doch Legna nahm an, dass es doch der Fall war. Bis ein Dämonenkind erwachsen wurde, waren seine Eltern und sein Siddah genauso verantwortlich für sein Verhalten wie der junge Dämon selbst. Und niemand trug eine größere Verantwortung als Ruth. Sie hätte genauso gut auf der Position der Mutter stehen können.
Die alte Frau war die Nekromantin, bemerkte Legna und sandte diese Information zusammen mit ihren anderen Erkenntnissen an die Männer. Sie war die älteste von ihnen, aber sie war bei Weitem noch nicht alt und gebrechlich. Die Mutter war die Anführerin der schwächeren Jägerinnen, unbedeutend im Dunkel der Nacht, tödlich wie Gift im Licht der Sonne. Diese Frau war körperlich fit und gut durchtrainiert, und das strahlte sie auch aus. Ihr Selbstvertrauen war beeindruckend.
„Der Dämon wird bald in sein Territorium zurückkehren“, verkündete Mary fest.
Die Aussage überraschte Legna, doch dann auch wieder nicht. Jacob würde niemals an den Ort zurückkehren, wo er einer solchen Gefahr ausgesetzt gewesen war. Der Ort war
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