Schattenwandler 02. Gideon
fast unmöglich zu entscheiden, welche Gedanken zu wem gehörten.
Gideon war der Älteste unter ihnen. Es gab niemanden, der älter war, und keiner, der früher einmal seinen Kraftnamen gekannt hatte, war noch am Leben. Seine Eltern waren tot. Seine Siddah war tot. Wenn Legna seinen Namen herausfand, hätte das sehr ernste Folgen. Er würde seine ganze Existenz in ihre Hände legen, seine ganze Macht, und ihr damit die Macht geben, ihn vollkommen zu unterwerfen. Legna versuchte, von ihm zurückzuweichen. Der Schock darüber, was er ihr anbot, war kaum zu ertragen. Doch er lockerte seinen Griff nicht, sondern hielt sie eisern fest.
„Das kann ich nicht“, flüsterte sie und begann am ganzen Körper zu beben. „Niemand sollte ihn kennen. Niemand. Ich bin nicht stark genug, um ihn zu bewahren, Gideon. Jeder männliche Geistdämon könnte ihn mir entreißen!“
„Du bist stärker, als du glaubst, Neliss .“
„Nicht stark genug. Bitte verlang das nicht von mir.“ Sie stemmte sich gegen ihn und versuchte, sich seinem Griff zu entwinden. Er hielt sie noch einen Augenblick fest und sah ihr tief in die angsterfüllten Augen.
„Eines Tages“, sagte er leise.
Dann ließ er sie los.
Sie hatte mit einem Mal keinen Halt mehr und taumelte einen Schritt zurück. Sie presste eine Hand auf ihren Brustkorb, der sich heftig hob und senkte, so als wolle sie ihn zusammenhalten. Ein letztes Mal noch trat er zu ihr hin und hob ihren Kopf, indem er einen Finger unter ihr Kinn legte.
„Du hast deine Wahl getroffen, oder?“
Sie tat nicht so, als würde sie ihn falsch verstehen. Sie war viel zu tief mit ihm verbunden. Sie wusste, es gab einen Namen für das, was gerade zwischen ihnen geschehen war. Er war jetzt auf sie geprägt, für alle Zeit. Und sie auf ihn. Obwohl sie nicht im körperlichen Sinne zusammengekommen waren, hatte jeder sich untrennbar mit dem anderen verbunden. Legna spürte bereits die Veränderungen in sich. Ihr Geruch war anders, er war jetzt für immer mit seinem vermischt. Ihre Gedanken waren voller Bilder aus seinem Geist. Und seine Kraft wurde nun zu einem Teil ihrer Kraft.
„Hatte ich denn je eine Wahl?“, fragte sie und erzitterte bei dieser Erkenntnis.
„Ja. Du weißt sehr gut, dass du eine Wahl hattest.“
Er hatte recht. Sie wollte es nicht zugeben, aber es war an ihr gewesen, eine Wahl zu treffen, obwohl Natur und Schicksal das weibliche Raubtier in ihr geweckt hatten, indem sie ihr Verlangen ins Spiel gebracht und damit eine Situation geschaffen hatten, in der sie nicht widerstehen konnte.
„Ich habe dich gewählt, Gideon“, murmelte sie. „Und du hast mich gewählt. Aber wie ist das möglich?“
„Das ist selten, Legna, ich weiß. Es passiert vielleicht einmal in zweihundert Jahren zwischen zwei Dämonen. Aber du kannst fühlen, wie real es ist, oder nicht? Es ist in dir und genauso auch in mir. Für alle Zeit.“
„Abe r … Isabella und Jaco b … Corrine und Kane. Ich dachte, in der Prophezeiung steht, dass wir unsere Partner unter den Druiden finden sollen.“
„Vielleicht werden deswegen so selten zwei Dämonen aufeinander geprägt, weil wir unsere Seelenverwandten immer unter den Druiden finden sollten und nicht bei unseresgleichen. Aber es gibt keine absoluten Wahrheiten, Legna. Dämonen haben sich auch ohne Prägung seit Jahrhunderten ineinander verliebt, und nur den besonders Glücklichen war das Erlebnis einer Prägung vergönnt. Du bist für mich bestimmt. Ich erkenne das jetzt mit erstaunlicher Klarheit. Warum ich das nicht früher erkannt habe, verstehe ich nicht.“
Und nun wurde es Gideon auch bewusst, dass er den Ursprung dieser scheinbar seltsamen Entwicklung kannte. Die Verwandlung hatte bereits vor neun Jahren begonnen, während jener kurzen glühend heißen Begegnung. Er hatte sie stärker gemacht, als sie gewesen war. Sie war von seinen Wesenszügen durchdrungen worden. Daher hatte er sich bei der Untersuchung auf einmal an die Funktionen ihres Körpers angepasst. Sie hatte bereits begonnen, ein Teil von ihm zu werden. So wie er begonnen hatte, ein Teil von ihr zu werden. Doch sie waren viel zu sehr in ihre widerstreitenden Gefühle verstrickt gewesen, um es zu bemerken.
„Gideon, ich habe Angst.“
Ihr Geständnis kam nicht gänzlich unerwartet. Er hatte es schon gespürt. Nur deshalb hatte er zugelassen, dass sie sich ihm entwand. Nur deshalb würde er die nagenden Bedürfnisse seines Körpers ignorieren und ihr Zeit geben, ihn auch dann anzunehmen,
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