Schattenwandler 02. Gideon
Grube schaufelte. In den ersten Monaten nach dem Verlust ihrer Tochter war ein solches Verhalten vielleicht noch zu verstehen gewesen, doch auch später hatte sie sich feindselig verhalten gegenüber dem Vollstrecker. Der Rat jedoch war sich im Klaren darüber, dass die Vollstrecker nicht dafür verantwortlich waren, was mit ihrer Familie geschehen war, und ihre Tiraden und ihre Feindseligkeiten hatten sie unter den Mitgliedern des Rates viele Freunde gekostet.
„Doch, die habe ich“, entgegnete Noah kühl, und er war sich seiner Position absolut bewusst. „Wenn der Rat mir mehrheitlich zustimmt, schließe ich dich von dieser Versammlung aus. Und ich denke, du solltest dir darüber im Klaren sein, Ruth, dass die Frau, die du so geringschätzig behandelst und die in diesem Rat an Jacobs Seite sitzt, bei dieser Entscheidung das Zünglein an der Waage sein wird. Sobald sie wieder bei uns ist. Und jetzt setz dich hin!“
Bei dieser deutlichen Drohung wurde Ruth blass. Sie bebte am ganzen Körper vor unterdrückter Wut über ihre Machtlosigkeit. Aber sie war so klug, den Mund zu halten. In einer stummen Geste des Trotzes warf sie ihr blondes Haar zurück und nahm wieder Platz. Der Hass in ihren Augen war nicht zu übersehen, als sie den Vollstrecker wütend anfunkelte.
„Erzähl weiter, Jacob. Ich entschuldige mich für die Unterbrechung“, bat Noah sanft.
Gideon warf Ruth aus seinen silbernen Augen einen aufmerksamen Blick zu, während Jacob knapp eine Minute brauchte, um sich zu sammeln. Er konnte Ruths unkontrollierten Gefühlsausbruch verstehen. Ihre Tochter hatte das Wertvollste verloren, was ein Dämon besitzen konnt e – ihren druidischen Gefährten. Dieser wäre zweifellos für alle Zeit auf sie geprägt worden und hätte ihr einen besonderen Platz in einer neuen Ära der Dämonenheit verschafft. Ruth, die so sehr nach Macht strebte, hätte eine solche Wendung des Schicksals mit Sicherheit sehr begrüßt. Es wäre wundervoll gewesen, die Mutter einer solchen Tochter zu sein.
Aber Gideons Mitgefühl galt ausschließlich Ruths Tochter Mary. Durch den Tod des Druiden war es der jungen Dämonin nun für alle Zeiten versagt, selbst zu erleben, was Legna und er gerade für sich entdeckten und was sie so genossen.
Und dann begriff Gideon plötzlich, dass auch er zu diesem Schicksal verdammt gewesen wäre, wenn es Isabella und ihre bemerkenswerten Fähigkeiten nicht gegeben hätte. Eisige Kälte breitete sich in seinem Herzen aus, obwohl er sich große Mühe gab, seine Emotionen zu beherrschen. Ein Leben ohne Legna und ohne jemals zu erfahren, was er verpasste, war undenkbar. Gideon ballte die Fäuste.
Ruhig, Liebster. Konzentriere dich auf den Moment, und vergiss nicht, wie nah ich dir jetzt bin.
Ihre beruhigende Stimme war nichts gegen die mächtige Wirkung, die ein zärtliches Wort von ihr auf ihn hatte. Er umklammerte die Armlehnen seines Stuhls, als müsse er verhindern, dass er im Rausch des Gefühls einfach aufsprang. Er konnte seine lächerliche Reaktion nicht erklären, aber er konnte sie auch nicht leugnen.
Wenn ich gewusst hätte, dass es so leicht ist, dir eine Freude zu machen, hätte ich es schon eher getan, ließ sie ihn in Gedanken wissen, und bei ihrem Lachen wurde ihm ganz leicht ums Herz.
Habe ich dir jemals das Gefühl gegeben, dass du mir keine Freude machst, Neliss?
Still, du Schmeichler. Kümmere dich um Jacob.
Ein Lächeln spielte um Gideons Mundwinkel, und er wandte sich wieder dem Vollstrecker zu.
„… dachten zunächst, es sei der Angriff eines Nekromanten gewesen“, sagte der gerade. „Sie ist von mehreren Stromstößen getroffen worden, die ganz nach deren Handschrift aussehen. Dabei haben wir allerdings nicht sofort verstanden, warum sie nicht in der Lage gewesen ist, diese Kräfte zu dämpfen, wie sie es sonst immer getan hat.“
Jacob hielt inne und rieb die Handflächen aneinander, als sei ihm kalt. Das war kein Wunder, überlegte Gideon. Ihm wäre genauso kalt gewesen, wenn er dem Rat von einem Angriff auf Legna hätte berichten müsse n … und gezwungen gewesen wäre, sich erneut der Tatsache zu stellen, dass er sie nicht hatte beschützen können.
„Der Grund, warum Bella die Kräfte des Angreifers nicht hat schwächen können, liegt darin, dass der Strom aus einer Handwaffe gekommen ist. Es war Technik und keine übernatürliche Fähigkeit, die sie verwundet hat. Sie war offenbar an die Tür gegangen und hatte nicht die geringste Chance, sich zu schützen.
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