Schattenwandler 02. Gideon
schnell ihre Meinung. Andernfalls hätte sie dem Urältesten niemals ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihres Babys anvertraut. Es war nicht Bellas Art, jemandem lange böse zu sein. Erst recht nicht, nachdem sie begriffen hatte, was für ein großes Geschenk Gideon ihnen machte, indem er ihnen seine unglaublichen Kräfte zur Verfügung stellte und die Schwangerschaft begleitete.
Jacob hatte sich gefragt, warum ihre positive Sichtweise nicht ebenso leicht auf ihn abgefärbt hatte wie zuvor die Irritation gegenüber Gideon. Wenn er allerdings ehrlich war, hatte das wahrscheinlich eine Menge damit zu tun, dass Gideon ständig die Hände an seiner Frau hatte. Das war zwar notwendig, aber es änderte nichts daran, dass eine instinktive Feindseligkeit in ihm erwuchs. Vielleicht sah Gideon ihn jetzt mit anderen Augen, weil er selbst geprägt war. Der Gedanke, dass sie sich jetzt auf der gleichen Ebene befanden und dass jeder von ihnen verstand, was der andere zu fühlen gezwungen war, und zwar aus erster Hand, tat ihm gut.
Gideon hatte außerdem ein Wunder vollbracht, als er das Leben seiner Familie gerettet hatte, dessen war Jacob sich sehr wohl bewusst. Niemand anderes wäre dazu in der Lage gewesen, die Mutter und auch das Kind zu retten. Allein deswegen stand Jacob bis ans Ende ihrer Tage tief in Gideons Schuld.
Jacob betrat das Schlafzimmer, das man ihm in Noahs Haus zur Verfügung gestellt hatte. Er machte sich nicht die Mühe, das Licht einzuschalten, weil er auch so perfekt sehen konnte. Bella war in einen leichten Schlaf gefallen und bewegte sich, als sie ihn kommen spürte. Lächelnd begann Jacob eine Überraschung für sie zu zaubern.
Bella schlug die Augen auf, als der überwältigende Duft von Rosen zu ihr hindrang. Sie setzte sich auf, und Rosenblätter fielen von ihrem Körper. Lachend nahm sie eine Handvoll der zarten Blüten und rieb sich damit über Gesicht und Hals, während sie den Duft tief einsog.
„Jacob“, murmelte sie voller Freude.
Jacob schöpfte mit beiden Händen weitere Blätter und ließ sie über ihren Kopf regnen, dann setzte er sich zu ihr. Sie kicherte, und zum ersten Mal seit dem Überfall zeigte sich ihr Humor wieder. Sie war so traurig gewesen, so niedergeschlagen, dass es ihm das Herz zerrissen hatte. Der kleine Trick mit den Blumen war Gold wert, wenn es sie zum Lachen brachte.
„Hallo, kleine Blume“, begrüßte er sie, beugte sich vor und küsste sie zärtlich, während der Duft der Rosen von ihrer warmen Haut aufstieg und sie beide einhüllte.
„Ich liebe dich“, flüsterte sie, umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und küsste ihn noch einmal. „Ich finde es wunderbar, dass du bei mir bleibst, obwohl du darauf brennst, Jagd zu machen auf die, die mich überfallen haben.“
„Es wird auch Zeiten geben, Liebste, wo ich nicht bleiben kann“, erwiderte er sanft und strich ihr in der Dunkelheit liebevoll über das Gesicht.
„Das erwarte ich auch nicht, Jacob. Vergiss nicht, ich habe das Herz einer Löwin, und ich werde nicht ruhen, bis diejenigen vernichtet sind, die versucht haben, mein Junges zu töten. Und im Moment kann ich dieses Ziel nur erreichen, indem ich in deinem Herzen und in deinen Gedanken bin, während du für uns beide Vergeltung übst.“
Jacob nickte stumm, denn seine Gefühle schnürten ihm die Kehle zu. Er war so voller Emotionen, dass er sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. Liebe und Hass, Zufriedenheit und Unmut, Freude und Wut. Es schmerzte ihn tief, Worte wie Rache und Vernichtung aus dem süßen Mund seiner Gefährtin zu hören. Sie war als Friedenswächterin geboren worden, als Vollstreckerin mächtiger Gesetze und als mutige Kriegerin, aber dass sie Gründe hatte, selbst zu hassen und sich zu fürchte n … Umso mehr hatte Jacob das Gefühl, dass er sie im Stich gelassen hatte. Es war seine Aufgabe, sich mit der Dunkelheit zu befassen, sie davor zu beschützen, und er hatte versagt. Sofort war sie bei ihm und versuchte, ihn zu beruhigen und seine Frustration zu lindern, aber auch ihre Berührung in seinem Bewusstsein war nur schwach und matt. Es fühlte sich an, als sei sie nur noch ein Schatten ihrer selbst in ihm, und das durfte einfach nicht sein. Sie sollte vor Leben sprühen und ihn mit ihrer Energie und mit ihrer Liebe überfluten.
„Oh Jacob“, schluchze sie leise, während sie sich müde an ihn lehnte und ihn mit ihren schlanken Armen umschlang. „Bitte“, flehte sie ihn an, „das darf dich nicht zerstören.
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