Schattenwandler 03. Elijah
merkte, dass sie mit dem Rücken vor einem Fenster stand, wurde sie kurz von Panik erfasst. Aber dann wurde ihr klar, dass wohl kaum jemand sie sehen könnte, weil sie sich mehr als vier Stockwerke über den Häusern und Menschen unten befand.
„Du nennst es eine Schwäche. Aber obwohl es mich selbst betrifft, ist es meiner Meinung nach eher eine Stärke.“
Seine tiefe, volle Stimme erfüllte den Raum, und ihr Herz schlug schneller. Sie griff nach seinem Handgelenk und zog ihn weiter nach hinten in den Gang, wo die Dunkelheit sie einhüllte und wo die Gefahr nicht so groß war, dass man sie draußen hören konnte.
„Was willst du hier? Und schieb es nicht auf den heiligen Tag, der in zwei Tagen stattfindet.“
„Ich habe nicht vor, es auf irgendetwas zu ‚schieben‘. Ich glaube nicht, dass ich eine Entschuldigung dafür brauche, dich zu sehen, Siena.“ Er streckte seine Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren, aber sie warf den Kopf zurück und wich ihm aus. „Und genau deswegen bin ich hier. Wir brauchen Klarheit zwischen uns, bevor die besagte Nacht kommt, Siena.“
„Ich brauche keine Klarheit. Wenn du Klarheit brauchst, dann musst du sie dir selbst verschaffen.“
Sie drehte sich um und wollte gehen, aber sie hatte vergessen, dass er ebenso schnell war wie sie. Niemand konnte den Wind überholen. Seine Hand schloss sich um ihren Arm, und er zog sie zurück – und spürte die Wut und die Qual, die sie tagelang nur mit Mühe unterdrückt hatte.
Sie schrie auf wie ein verwundetes Tier und stürzte sich auf ihn. Er sah ihre Krallen aufblitzen und spürte einen scharfen Schmerz, als sie ihm mit den Krallen einen Hieb ins Gesicht versetzte. Elijah war kurz erschrocken und reagierte instinktiv. Blitzschnell packte er sie bei den Haaren und zog sie daran mit dem Rücken zu ihm, sodass ihre Krallen in die andere Richtung zeigten. Sie stöhnte leise und schrie auf, als sie mit dem Gesicht nach vorn gegen die kunstvoll behauene Wand gedrückt wurde. Dann presste er sie mit seinem kräftigen Körper an den harten Stein. Gleichzeitig packte er eine Hand und drückte sie ebenfalls gegen den Stein.
„Lass mich los!“ Sie wehrte sich vergeblich. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen. „Du wirst gleich eine fuchsteufelswilde Berglöwin vor dir haben, wenn du mich nicht sofort loslässt.“
„Das bezweifele ich sehr“, schnurrte er ihr ins Ohr und fuhr mit den Lippen über ihr Ohrläppchen, sodass sie unwillkürlich erschauderte. „Deine Haare sind um mein Handgelenk gewickelt, und wenn mich nicht alles täuscht, reicht das, dass du das bleibst, was du im Moment bist. Und ich denke, das ist nicht gefährlicher als ein ungezogenes Kind.“
Als Antwort schleuderte sie ihm irgendein Wort entgegen, das er nicht kannte, doch er konnte sich trotzdem ganz gut vorstellen, was es bedeutete.
„Dann flipp nicht aus, weil es nicht nach deinem Kopf geht, Kätzchen“, wies er sie ruhig zurecht und fuhr mit den Lippen langsam über ihren Hals. „Ich bin vor Samhain hergekommen, weil ich dir nicht Gewalt antun will, Siena. Aber wenn du dich bis dahin nicht in das Unvermeidliche fügst, werde ich genau das tun. Und auch wenn du es vielleicht nicht glaubst – das ist wirklich das Letzte, was ich will.“
Siena schloss die Augen und versuchte, nicht auf ihn und auf seine geduldige, besänftigende Stimme zu hören. Sie biss die Zähne zusammen. Er konnte es ausflippen nennen – aber ihre Unabhängigkeit stand auf dem Spiel, und die würde sie nicht kampflos aufgeben.
„Ich bin nicht hier, um dir deine Unabhängigkeit zu nehmen, Kätzchen“, sagte er sanft, und sie stieß heftig die Luft aus, verärgert, wie leicht er ihre Gedanken erriet. „Ich würde mir lieber beide Hände abhacken, als dir so etwas anzutun. Genau dein Temperament, deine Unabhängigkeit und deine Kampfbereitschaft und deine Instinkte machen dich zur perfekten Partnerin für mich. Und machen mich zum perfekten Partner für dich.“
„Inwiefern bist du perfekt für mich?“, fragte sie bissig. „Weil mein Körper auf deinen reagiert? Ist das deine Vorstellung von Perfektion?“
„Es ist immerhin ein Anfang“, zog er sie auf und lachte mit seinem Mund an ihrem Hals. „Aber es ist noch viel mehr, das muss ich dir doch nicht erst sagen, oder?“ Er näherte sich wieder ihrem Ohr und flüsterte ihr ganz zart zu. „Gibt es einen besseren Partner für eine Jägerin als einen Krieger, der ihr den Geruch ihrer Beute zuweht? Oder einen
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