Schattenwandler 04. Damien
aus seinen dunklen, mitternachtsblauen Augen unverwandt ansah. „Es gibt nichts, was du nicht längst wüsstest.“
„Das muss ich mir von einem völlig Fremden nicht erzählen lassen“, erwiderte sie heftig. Doch ihre Worte verloren an Schärfe. Sie war müde und durcheinander, und sie versuchte verzweifelt, ihn für ihren Gemütszustand verantwortlich zu machen.
„Was du brauchst, Syreena, ist Ruhe und Frieden. Du bist zu streng mit dir selbst, und du bist zu unerbittlich für jemanden, der einfach nur gesund werden sollte.“
„Könntest du bitte aufhören, mir zu sagen, was ich tun soll“, seufzte sie.
Sie brach zusammen, da, wo sie stand, zu müde, um sich noch länger auf den Beinen zu halten. Blitzschnell war Damien bei ihr und fing sie auf, noch bevor sie zu Boden gesunken war. Der Vampirprinz hob sie hoch auf seine Arme, und ihr Kopf lag schwer auf seiner rechten Schulter.
Unwillkürlich drückte er seine Wange an die ihre und vermittelte ihr so das Gefühl von Wärme und Sicherheit.
„Hör auf“, flüsterte er in ihr winziges Ohr. „Versuch nicht, mir zu zeigen, wie viele Stacheln du hast.“
„Ic h … ich verstehe dich nicht“, weinte sie leise. „Ich weiß nicht, was du willst.“
„Ich weiß“, murmelte er. „Das wundert mich nicht.“
Er zog sie fester an sich und ging langsam zu der heimeligen Hütte zurück, die ein Stück entfernt in der Dunkelheit lag.
„Sag mir, was du willst!“, bat sie.
„Ich wil l … “ Er hielt einen Augenblick inne und lachte in sich hinein. „Ich will wissen, was du willst. Und da du das nicht weißt, muss ich warten, bis ich es herausfinde.“
6
Eine Stunde später lag Syreena zusammengerollt unter sauberen, warmen Decken und versuchte sich vorzustellen, was er damit gemeint hatte.
Sie hörte, wie er im Nebenzimmer mit Windsong sprach. Jedes Mal, wenn er lachte, musste sie ihre Neugier bezähmen, wissen zu wollen, worüber er lachte. Das Lachen war irgendwie ansteckend, in keiner Weise so dunkel und so geheimnisvoll wie er selbst. Und sie wäre am liebsten nach nebenan gelaufen, um zu fragen, worum es ging.
Sie wollte ihn so gern hassen, doch sie merkte, dass das unmöglich war. Sie fand sein Eingeständnis, dass er ein lasterhaftes Leben geführt hatte, faszinierend und charakterstark und nicht etwa skandalös, wie man ihr immer beizubringen versucht hatte. Tatsächlich war er nichts von all dem, was sie ihm unterstellt hatte. Er war überaus höflich, sogar wenn sie ihn beschimpfte, und charmant ohne Hintergedanken und trotz seiner Behauptung, er sei nicht sehr besonnen bei dem, was er tat, schrecklich weise.
Die Prinzessin erkannte, dass sie ihre Wut an ihm ausgelassen hatte, dass sie wütend auf sich selbst war, weil sie sich in diese Zwickmühle gebracht hatte. Er hatte es geduldig ertragen, sogar mit einer Prise Weisheit und mit einem Schuss scheinbar unerschöpflicher Gelassenheit.
Sie setzte sich in ihrem geliehenen Bett auf und warf die braune Haarseite zurück, die unordentlich unter dem Verband hervorschaute. Sie begann ihre Hände auszuwickeln, weil sie die Einschränkung und das Gefühl nicht mehr ertragen konnte, eine Invalidin zu sein. Die Verbände um ihren schwer verletzten Kopf konnte sie nicht einfach so entfernen, also gab sie sich damit zufrieden, dass sie ihre Finger und ihre Hände bewegen konnte. Von den tiefen Wunden waren nur noch ein paar dunkelrote Stellen zu sehen. Sie waren entzündet und taten ein bisschen weh, doch das war nichts, was sie nicht hätte aushalten können. In ein paar Stunden wäre es vorbei. Je besser sie genesen würde, desto stärker wäre sie.
Doch es würde sehr lange dauern, bis ihr Haar wieder nachgewachsen war.
Sie fühlte sich wie Samson, kahl geschoren und verraten von der eigenen Schwäche. War sie von der Liebe verraten worden? Hatte ihre Liebe zu Siena sie schwach gemacht, so wie der biblische Charakter es zugelassen hatte, dass die Liebe ihn schwächte? Oder hatte Sienas Liebe zu ihr die Königin verwundbar gemacht?
Syreena hasste die Vorstellung, dass sie eine von Sienas Schwachstellen sein sollte. Schlimmer noch: eine, die man dazu missbrauchen konnte, Rache zu üben.
„Hör auf!“
Syreena fuhr überrascht zusammen, als sie den Klang der tiefen Stimme vernahm, der auf das plötzliche Zuschlagen der Schlafzimmertür folgte.
Sie sah die dunkle Wut in Damiens Augen und blickte hinab auf ihre bloßen Hände und auf die Verbände in ihrem Schoß. „Ich brauche sie nich t
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