Schattenwandler 05. Noah
stieß.
Dann war er auf ihr, schlug wieder auf sie ein, achtete jedoch darauf, dass sie nicht bewusstlos wurde, sodass sie wach war bei der Vergewaltigung, die endlos lange dauerte. Die Polizei kam, als er noch immer in ihr war und sich erneut an ihrem Schmerz ergötzte. In höchster Wut stieß er ihr das stumpfe Messer absichtlich in den Unterleib, damit er selbst der Letzte gewesen war, der sie als richtige Frau gehabt hatte. Noch im Schock, während sie Gott um Gnade, um den Tod oder zumindest um Bewusstlosigkeit anflehte, sah sie, wie man ihren Peiniger in ihrem eigenen Wohnzimmer erschoss. Das war das Ende eines bösen Albtraums, doch es spielte keine Rolle. Er würde niemals sterben. Er wäre immer da. Tief in ihr drin, so tief, wie das Messer in ihr gewesen war.
Doch sie vergoss keine einzige Träne. Sie konnte nicht. Er würde jedes Mal gewinnen, wenn sie das tat. Und sie schwor sich, dass das nie wieder geschehen würde. Dass sie nie wieder Opfer sein würde, und sie würde nie jemanden aus Angst lieben …
Aus Angst.
Und das hatte sie auch nie getan. Bis Noah kam. Er berührte sie. Er weckte Wünsche in ihr, denen sie sich nicht entziehen konnte. Er weckte ein Verlangen und Bedürfnisse, die mit dem Stich eines Messers gestorben waren, als sie gerade erst siebzehn Jahre alt war. Sie benutzte Sex als Kontrolle, als Werkzeug. Männer, die ihr zu nah gekommen waren, wurden benutzt und kalt abserviert, womit jede Freundschaft und Fürsorge ebenfalls ein Ende hatten. Genau das, was sie auch mit ihm versucht hatte.
Niemand hatte sie je so berührt wie er. Niemand hatte sie so entflammt, verbotenes Feuer und Begehren in ihr geweckt. Niemand außer Noah hatte ihr Lust verschafft. Sie hatte lustvollen Sex für eine Lüge gehalten oder für ein Märchen. Sie hatte »Liebe machen« für etwas Unmögliches gehalten. Mit Noah war alles anders, er hatte ihre Abwehrmechanismen überwunden, und Angst hatte sie gepackt, bis sie sich gefühlt hatte, als befände sie sich wieder in einem hilflosen Schockzustand und wartete darauf, welche schrecklichen Dinge als Nächstes geschahen.
Sie wurde mit allem fertig; sie konnte den ganzen Globus in die Luft sprengen, die mächtigsten Männer der Welt sabotieren und sie mit Bomben und mit Weiblichkeit in die Knie zwingen. Sie war tödlich, jeder Schritt, den sie machte, war eine Gefahr für die anderen.
Doch Noah hatte sie außer Gefecht gesetzt, wie er auch Veränderungen in ihr in Gang gesetzt hatte, die ihr neue Kräfte verliehen. Der Dämon, der den Anspruch erhob, ihr geprägter Gefährte zu sein, erlegte ihr für alle Zeit Abhängigkeit auf und stellte ihr dafür eine tiefe Liebe in Aussicht, wie sie sie nicht kannte.
Doch, wie er sie kannte.
Kestra trat auf einmal mit seinen Gedanken in Verbindung, in dem verzweifelten Bedürfnis, zu sehen, was er wusste. Nichts konnte sie aufhalten, als sie wie ein Mikrofilm-Scanner hindurchraste, um das zu finden, was sie suchte.
Sarah und Ariel.
Seine Eltern. Geprägte Gefährten. Die Liebe, die Berührungen, das Verlangen. Endloses, wundervolles Verlangen. Keine Besessenheit, sondern Gleichklang. Ariel war so anders als Sarah. Er hatte seine Aufgabe als Vollstrecker an seinen Bruder übergeben, um sie heiraten zu können. Er war stattdessen ein Krieger geworden, nur um ihretwillen. Immer noch ein Kämpfer für sein Volk, aber anders jetzt. Er hatte einen athletischen Körperbau und war dunkel, während Sarah hell war. Augen aus Eis und Blau, wie Kestra, nur viel dunkler. Haare so schwarz wie die Nacht. Sarah war blond und von zarter Gestalt und klein im Vergleich zu ihrem Gemahl. Er war aggressiv und vertrat seine Meinung, als wäre sie Gesetz; sie war gemäßigter, bereit, alle Seiten anzuhören, und bemüht, ihn ebenfalls dazu zu bringen. Sie vermittelte, wenn er tobte. Sie schimpfte, wenn er sie neckte. Sie liebte es, nachts auszureiten, also kaufte und züchtete er wundervolle Tiere für sie. Er machte sich Sorgen, dass sie ihr Leben als Mitglied des Königshauses vermissen würde, weil er wusste, dass er zu unbeherrscht war, um König zu werden. Und trotzdem hatten sie sich geliebt. Rhythmus, Bewegung, Gedanken, eine harmonische Sinfonie zweier getrennter Seelen, die zu einer verschmolzen. Eins in der Liebe. Eins im Verstehen. Eins im Zulassen der Dinge, die jeder brauchte, um seine Identität zu bewahren.
Ariel und Sarah. Hannah, Noah und Magdelegna, die Früchte einer wunderbaren Vereinigung, die über Jahrhunderte
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