Schattenwandler 05. Noah
und das hatte ihm die Fähigkeit verliehen, sich in einen Raben zu verwandeln. Jetzt, wo er hinter ihr herflog, zeigte sich, dass er in den vergangen Monaten an Geschicklichkeit gewonnen hatte. Trotzdem war er lieber vorsichtig. Es wäre dumm, ein tausendjähriges Leben mit einer ungeschickten Landung auf den Felsen dort unten zu beenden. Es wäre ein recht schmähliches Ende für den mächtigsten Prinzen mit der längsten Regierungszeit in der Geschichte der Vampire.
Damien jagte entschlossen hinter seiner Frau her. Sie hatte sich selbst verraten, und er war gewillt, ihre besorgten Gedanken zu hören. Bevor sie ihn geheiratet hatte, war sie selbst eine Prinzessin gewesen, Erbin des Lykanthropenthrons und Beraterin der jetzigen Königin, ihrer Schwester Siena. Somit waren ihr politische Intrigen und die sich daraus ergebenden, manchmal unerwünschten Folgen nicht fremd. Doch das machte es nicht leichter, sie zu ertragen. Nicht wenn sie selbst so davon betroffen war.
Syreena flog auf die spiegelglatte Oberfläche eines der Bergseen zu. Da war Damien klar, dass sie ihn bemerkt hatte. Die nächste Änderung ihrer Flugrichtung war absichtlich, weil sie nur allzu gut wusste, wie sehr er die Kälte des winterlichen Wassers hasste. Das konnte ihn eher davon abhalten, ihr zu folgen, als der halsbrecherische Sturzflug von vorhin.
Als sie ungefähr zwanzig Zentimeter über der Wasseroberfläche war, verwandelte sie sich von einem Falken in einen Delfin. Sie tauchte ein, und nur ein Kräuseln, das ihre Schwanzflosse verursacht hatte, verriet die Stelle, wo sie eingetaucht war. Damien folgte ihr nicht. Er ließ sich auf einem Felsen nieder und nahm wieder seine männliche Gestalt an, schlug lässig die Beine übereinander und legte eine Hand an die Hüfte, während er darauf wartete, dass sie wieder auftauchte.
Es war nicht so, dass er nicht schwimmen konnte. Doch der Körper eines Vampirs blieb nur so lange warm, wie das Blut seiner letzten Mahlzeit warm blieb. Er hatte keinen richtigen Blutkreislauf, also sank seine Körpertemperatur stetig. Wenn er seiner Frau in den See gefolgt wäre, hätte er augenblicklich die noch verbliebene Wärme verloren und sie so lange, bis er wieder Blut getrunken und sein eisiges Fleisch aufgewärmt hätte, nicht einmal berühren oder küssen können. Syreena tauchte in der Mitte des Sees auf, diesmal in ihrer normalen Gestalt. Zumindest über der Wasseroberfläche. Er war sicher, dass sie darunter einer Meerjungfrau glich, mit einer Schwimmflosse anstatt Beinen. Bei all diesen Verwandlungen hatte sie nur eine Gestalt aus ihrem Repertoire noch nicht angenommen: die geflügelte Frau, die sie gern Harpyie nannte. Das waren fünf verschiedene Gestalten, zwei mehr als bei einem normalen Lykanthropen. Sie war eine Mutation, ein einzigartiges Geschöpf unter ihren Leuten. Unter allen Schattenwandlern.
Schließlich kam Syreena auf ihn zugeschwommen, indem ihre kräftige Schwanzflosse sie mit raschen Schlägen vorantrieb. Der Übergang von Wasser zu Land gelang ihr genauso reibungslos wie alles andere, und als sie ihr dunkles Haar zurückwarf, spritzten Tropfen in alle Richtungen. Er setzte die Beine nebeneinander auf, breitete die Arme aus, und sie glitt in seine Umarmung, nachdem sie sich vor den Felsen gekniet hatte, auf dem er saß.
Damien seufzte zusammen mit ihr, als sie sich von ihm trösten ließ. Er gab ihr eine Reihe von sanften Küssen auf die Stirn und hinab bis zu ihrem Ohr und sagte leise: »Wenn es dir damit besser geht, kann ich auch Jasmine zu Noah schicken, anstatt selbst zu gehen.«
Sie gab einen Stoßseufzer von sich, der verriet, wie viel lieber ihr das wäre. »Aber du hast gesagt, aus Gründen des Protokolls und des Respekts wolltest du ihm die schlechten Nachrichten lieber persönlich überbringen. Und ich gebe es zwar nur ungern zu, aber ich finde auch, dass es so am besten wäre. Jasmine kann … nun, sie ist deine Beraterin und keine Diplomatin. Auch sie würde finden, dass es gute Gründe dafür gibt.«
Damien amüsierte sich über die höflich verpackte Einschätzung von Jasmines oft sehr unberechenbarem Temperament. »Stimmt, aber sie war mir gegenüber immer loyal. Sie würde meinen sorgsam gepflegten Beziehungen zu Noah und dem Dämonenvolk nicht schaden wollen. Sie weiß, wie wichtig Frieden zwischen den Clans der Schattenwandler für die Zukunft von allen ist.« Er hielt nachdenklich inne. »Dabei fällt mir ein, dass Jasmine dort bleiben könnte, bis zumindest
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