Schattenwandler 05. Noah
deutlich seinen Atem, während die anderen den Atem anhielten.
»Na schön.«
Jacob und Isabella atmeten langsam aus. Corrine hatte ihre Gefühle nicht so gut im Griff, sie brach in Tränen aus und ließ sich erleichtert gegen ihre Schwester sinken. Bella hatte keine andere Wahl, als sie wegzustoßen. Der Befehl ihres Mannes hallte durch ihren Kopf, und sie erhob sich augenblicklich, um ihm Folge zu leisten. Vorsichtig näherte sie sich Noah, während sie ihre feuchten Hände an den Jeansbeinen abwischte.
»Gib sie mir, Noah«, lockte sie mit einem kleinen Lächeln und mit der ganzen weiblichen Schmeichelei, zu der sie fähig war. Nicht auszudenken, was für eine unvorhersehbare Reaktion es hervorgerufen hätte, wenn Jacob nach Noahs Besitz gegriffen hätte. Bis zum heutigen Tag hatte Jacob selbst Probleme damit, wenn andere Männer Isabella berührten oder den Versuch unternahmen, es zu tun. Deshalb war er äußerst empfindlich, was die Frage betraf, wer den notwendigen Schritt tun und dem König seine Gemahlin in spe abnehmen sollte.
Die bewusstlose Frau war fast zwanzig Zentimeter größer und dreißig Pfund schwerer als die kleine Vollstreckerin, doch Bella war viel stärker, als sie aussah. Jacob sah, wie sie sachte weiterging und einen beruhigenden Zauber auf den Dämonenkönig ausübte, als sie die Hand ausstreckte, um seine Hand, mit der er seine Gefangene an der Schulter hielt, warm zu umschließen.
»Sie … sie ist erschöpft«, sagte er warnend zu ihr, es widerstrebte ihm, sie jemand anderem zu überlassen.
»Ich weiß. Das sehe ich. Sie wird schon recht bald wieder zu sich kommen«, versicherte sie ihm.
»Nur ich kann das rückgängig machen. Ich kann ihr Energie geben, aber sie ist meine wahre und einzige Gemahlin. Sie braucht meine Energie, wenn sie eine Druidin wird. Sie muss in meiner Nähe bleiben.«
Bella blickte zu Corrine hinüber und fing ein zustimmendes Nicken auf.
»Dann wird sie in deiner Nähe bleiben. Aber lass mich sie tragen. Du …« Bella zögerte eine schmerzvolle Sekunde lang, in der eine Furcht lag, deren nur ihr Mann sich vollständig bewusst war. Sie sprach, bevor er sie aufhalten konnte. »Du hast Leah Angst gemacht. Geh und tröste sie. Du weißt, bei dir hört sie immer auf zu weinen.«
Isabella wusste, dass ihren Mann Misstrauen und kaum bezähmbare Wut packten bei der Vorstellung, dass Noah ihr Kind berührte, nachdem er sich so rücksichtslos benommen hatte, vor allem, weil keiner von beiden wusste, ob Noah seinen Zustand schon überwunden hatte. Doch Isabella wusste, dass Noah diese Frau ohne eine Ablenkung niemals freigeben würde.
Nach langem Zögern willigte er schließlich ein und hob seine Last mit einer Sanftheit auf Bellas Arme, die alles, was er in den letzten Minuten getan hatte, Lügen strafte.
»Keine Sorge«, flüsterte Bella ihm zu, und Noah nickte und ließ langsam los. Er blieb einen Augenblick stehen, bevor er sich Leah zuwandte. Was er sah, war ein Ausdruck von Furcht, den keines der beiden aneinandergeschmiegten weiblichen Wesen hätte unterdrücken können, selbst wenn sie alle Zeit der Welt gehabt hätten.
Dieser Beleg dafür, wie grausam er vorgegangen war, kam schließlich an. Noah stieß erschrocken und schmerzerfüllt die Luft aus, als die Erkenntnis ihn mit voller Wucht traf. Er war umgeben von geliebten Menschen, die er betrogen hatte. Er hatte mehrere Stunden von geborgter Stärke und Kraft gelebt, hatte sie genauso schnell verbraucht, wie er sie hatte auffüllen können in seinem Wahnzustand. Als der Wahn schließlich nachließ, ließen auch seine Kräfte nach, und zwar genauso plötzlich. Noah taumelte und fiel auf die Knie, und nur seine Hand, mit der er sich abstützte, verhinderte, dass er mit dem Gesicht voraus auf den von Scherben übersäten Boden fiel.
Mit der für Kinder typischen Flüchtigkeit von Erinnerungen und Gefühlen löste Leah sich aus den Armen ihrer Tante und lief ihrem Onkel entgegen. Ihre kleinen Hände umschlossen für einen Augenblick sein Gesicht, dann schlang sie die Arme um seinen Hals und machte die beruhigenden Geräusche, die ihre Mutter und ihre Tante machten, um sie zu trösten, wenn sie verletzt oder wütend war.
Das entwaffnete den Dämonenkönig vollkommen. Er schloss das kleine Mädchen blind in die Arme und schluchzte an ihrem Hals, bevor er vor allen anderen seinen Gefühlen freien Lauf ließ.
6
Die unglückliche Prinzessin
Ein Dämonenmärchen
Cont’d …
Sarah konnte das Raunen
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