Schattenwandler 05. Noah
dass sie zumindest versuchen würde, wegzulaufen. Sich zu verstecken würde nicht wehtun. Doch was war, wenn er der beste Fährtenleser unter ihnen war, eine gottgegebene Fähigkeit aller Vollstrecker? Sie war eine echte Dämonin. Auch sie hatte ein paar Tricks auf Lager.
Sie würde ihn zuerst hinters Licht führen, und dann würde sie weglaufen und sich verstecken. Niemand würde sie dazu bringen, diese schreckliche Sache zu tun. Niemand würde sie dazu bringen, einen so wenig liebenswerten Mann zu lieben.
Syreena stand in dem leeren Fensterrahmen, die schlanken Hände gegen den kalten, flachen Stein gestützt. Der rumänische frühwinterliche Wind wehte über den zerklüfteten Berg und die kalten Seen, bevor er an den Mauern des hohen Gebäudes, das ihr Zuhause geworden war, emporwirbelte und schließlich die Stelle erreichte, an der sie stand. Die beißende Kälte und der kräftige Wind drangen durch die Fensteröffnung zu ihr hin, erfassten das locker sitzende Satinkleid, bis es wie eine weiße glänzende Haut an ihr klebte und der restliche Stoff hinter ihr flatterte wie eine Fahne.
Als sich die Hand eines Mannes um ihre Taille schlang, verursachte die unvermittelte Wärme ihr eine Gänsehaut, die über ihren Bauch und über ihre Brüste zuckte. Sie drehte sich zu ihm um und blickte mit schalkhaftem Lächeln zu ihm hinab. Sie streckte ihre eiskalte Hand nach ihm aus und strich ihm mit den Fingern über das Gesicht.
Dann sprang sie aus dem Fenster.
Damien, Vampirprinz und Gemahl der turmspringenden Dame, stellte sich auf den Fenstersims und beugte sich rasch hinaus, um zu sehen, was aus seiner Frau geworden war.
Sie legte die Arme an ihrem Körper an, während sie mit dem Kopf voraus auf die gezackten Felsen am Fuß seines Familienbesitzes zuflog. Ihr lockeres Gewand flatterte und bauschte sich, bis es sich ganz von ihrem schlanken Körper löste und weiß zu den Felsen hinunterschwebte.
Syreena flog allerdings nicht hinterher. Wie ein Blitz verwandelte sie sich von ihrer wunderschönen Frauengestalt in einen kleinen Wanderfalken. Gerade noch rechtzeitig, um den spitzen Felsen unter ihr auszuweichen. Und obwohl sie berühmt war für diesen Lykanthropentrick, gelang es ihr noch immer, ihrem Mann mit diesem Kunststück den Atem zu rauben, nachdem er ihn einen angstvollen Moment lang angehalten hatte. Es war nicht so, dass Damien an den Fähigkeiten seiner ausgesprochen begabten Frau gezweifelt hätte. Sie war die gewandteste lebende Lykanthropin. Es lag daran, dass es immer noch Momente gab, wo er sein Glück nicht fassen konnte, dass er in Äonen der erste Vampir seines Volkes sein sollte, der erfuhr, was wahre und dauerhafte Liebe wirklich bedeutete. Er war der einzige lebende Vampir, der verheiratet war, und das mit einem Wesen von außen. Er hatte völliges Neuland betreten und mehr als nur ein uraltes Gesetz gebrochen, um sie zur Frau nehmen zu können.
Das war jetzt etwas über neun Monate her, und viel war passiert, seit sie ihre Beziehung öffentlich gemacht hatten. Die Reaktionen waren gemischt gewesen. Ein paar positiv, ein paar negativ. Es waren die negativen Dinge, die seine Frau dazu brachten, aus dem Fenster im höchsten Turm des Schlosses zu springen.
Es kostete ihn keine große Mühe, herauszufinden, was passiert war, dass sie sich zur Entspannung und als Flucht auf ihre Fähigkeit besann, als Falke durch die Lüfte zu fliegen. Er war der Prinz der gleichgültigsten und aufrührerischsten Gattung von Schattenwandlern. Und während Respekt, Anstand und das Vampirgesetz sie die meiste Zeit auf Linie hielten, hatte Damiens Vermählung mit Syreena einigen widerspenstigen Angehörigen seines Volkes einen Anlass gegeben, Ärger zu machen. Dieser Ärger hatte sich auf die unterschiedlichste Weise gezeigt, doch besonders die jüngsten Vorfälle waren Syreena unter die Haut gegangen.
Damien sah zu, wie sie auf den See zuschwebte wie ein schneller schwarzbrauner Drache und geschickt von einer Luftströmung zur nächsten wechselte. Der Vampir war nicht so überzeugt von seinen gestaltwandlerischen Fähigkeiten wie seine Frau. Er verwandelte sich in einen großen, glänzenden schwarzen Raben, während er noch sicher auf dem Fensterbrett saß. Die Fähigkeit, sich in einen Raben zu verwandeln, hatte er erst seit dem letzten Jahr. Sein Leben lang war er in seiner Menschengestalt geflogen, etwas, was jeder Vampir ab einem bestimmten Alter konnte; bis er schließlich vom Blut seiner Frau getrunken hatte,
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