Schattenwandler 05. Noah
Vollstrecker ein notwendiges Übel, und sie werden dafür geschmäht, dass sie das verkörpern, was wir vielleicht einmal sein könnten.« Noah hörte, wie Isabella einen überraschten Laut von sich gab, der ihr jedoch in der Kehle stecken blieb, und er zog einen Mundwinkel nach oben, als er sich direkt an sie wandte. »Das Gesetz lautet folgendermaßen: Jedes unvermählte Mitglied des Dämonenvolkes, das zu den Älteren gehört, wird Corrines Fähigkeiten in Anspruch nehmen, um seinen Druidenpartner zu finden, auf den es geprägt werden soll. Nur das kann unsere Kultur von ihrem Wahnsinn heilen, und so soll es geschehen. In Zukunft werde ich das Gesetz auch auf junge Erwachsene ausweiten. Natürlich ist jeder frei, es zu einem selbst gewählten Zeitpunkt zu tun. Der einzige Grund, weshalb ich es nicht allgemein zur Pflicht mache, ist, dass ich unsere Druidin nicht überfordern möchte, die hiermit zu unserer Ehestifterin ernannt wird. Es ist sehr anstrengend, eine lebende Wünschelrute zu sein.«
Er hielt inne, um einmal tief und langsam durchzuatmen.
»Ich habe einmal gesagt, dass Isabella die erste Anlaufstelle ist, wenn es darum geht, uns vor uns selbst zu schützen. Aber erst jetzt ist mir klar geworden, dass ihre Schwester die Heilung bringt. Es ist die Pflicht eines jeden Ratsmitglieds, mit gutem Beispiel voranzugehen, indem es sich an die Ehestifterin wendet.«
Mit der Stille war es schlagartig vorbei, und beinahe der ganze Tisch brach in lauten oder leisen Protest aus.
»Noah, das kannst du nicht tun«, widersprach der Körperdämon Peter, und sein Stuhl scharrte laut über den Boden, als er aufsprang. »Du hast kein Recht, uns etwas zu befehlen, das zu den persönlichen Freiheiten jedes Lebewesens auf dieser Erde gehört. Kein selbstständig denkendes Wesen sollte gezwungen sein, einen Partner zu finden!«
»Jedes Wesen ist gezwungen, einen Partner zu finden«, erwiderte Noah mit einer Schärfe, die wie ein Schlag ins Gesicht war. »Du hast nie diese Grenze zum Wahnsinn überschritten, Peter, also weißt du nicht, wovon ich rede. Ich kann dir versichern, dass jedes Wesen auf dieser Welt davon getrieben ist, seinen Platz in einer Gemeinschaft zu finden. Es ist in jede Faser unseres Seins eingeschrieben. Aber wir Dämonen haben uns für den unnatürlichen Weg der Einsamkeit entschieden, und deshalb werden wir von der Natur und von den Heiligen Monden gezwungen, unserem inneren Kompass zu dem für uns bestimmten Partner zu folgen, koste es, was es wolle.
Glaub mir, Peter, du willst den Preis, den ich bezahlt habe, nicht bezahlen. Ich bin so unempfänglich für die Bedürfnisse meiner Seele und meines Körpers durch die Welt gelaufen, dass ich mein wahres Schicksal verfehlt und meine Gemahlin in den Tod geschickt habe. Ich will nicht mitansehen müssen, dass das noch einem von uns passiert. Ich bin das Oberhaupt unseres Volkes, und ich werde diese Weisung durchsetzen. Und wie bei anderen Gesetzen auch, werden diejenigen, die sich nicht daran halten, es mit meinen Vollstreckern zu tun bekommen. Die Sache wird ernste Folgen nach sich ziehen, die über die bisher übliche Bestrafung weit hinausgehen. Eine Strafe, die ich jetzt erleiden muss und die zu dem Schmerz hinzukommt, der, wenn ich ihn teilen könnte …« Er verstummte und schluckte, war jedoch nicht gewillt, den Kontakt zu dem Dutzend Augenpaaren abzubrechen, die ihn unverwandt anschauten. »Ich könnte mich selbst davon freisprechen, wenn ich wollte, doch was wäre ich für ein Anführer, wenn ich nicht von mir selbst erwarten würde, dass ich den Gesetzen folge, die ich für die anderen erlassen habe?«
»Noah, niemand hier erwartet von dir, dass du dich solchen Demütigungen …«
»Bitte«, unterbrach der König mit heiserer und gequälter Stimme. »Diejenigen hier, die sich meine Freunde nennen, sollten mich in dieser Angelegenheit nicht weiter bedrängen. Jacob und Isabella werden dafür sorgen, dass ich für meine Übertretung gerecht bestraft werde. Um ganz ehrlich zu sein, niemand verdient die Vollstreckung dieses Gesetzes mehr als ich. Die Versammlung ist geschlossen.«
Es gab keine weitere Diskussion. Noah wandte sich vom Tisch ab und ging zur Tür. Bevor er den Raum verließ, blieb er stehen und wandte sich noch einmal zu den Anwesenden um.
»Bella, Jacob … würdet ihr mich begleiten?«
Der König schloss die Augen, als er kurz darauf das Geräusch zweier Stühle hörte, die auf dem Marmorfußboden zurückgeschoben wurden.
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