Schattenwandler 05. Noah
bewusst, was sie tat, sie begriff, obwohl alles neu war, dass eine vertraute Gewohnheit darin lag. Es waren diese verdammten Träume . Als ob sie wahr gewesen wären, als ob sie sich schon hundertmal geliebt hätten.
Kestra zuckte heftig zurück und versuchte, sich aus der Umklammerung zu lösen, in der er sie hielt. Doch er drängte sich an sie und folgte ihren Schritten, als sie zurückwich, sein starker und erhitzter Körper an ihren geschmiegt wie ein versierter Partner bei einem perfekten Tango.
»Stopp«, bat sie, und sie klang atemlos und erregt in ihren Ohren, und ihr Gesicht brannte in einer Mischung aus Wut und Kränkung. »Lass mich los!«
Natürlich konnte Noah sie nicht zwingen. Er hatte so lange darauf gewartet, sie in Wirklichkeit so zu halten, und er war so von Gefühlen und Bedürfnissen überwältigt, dass dies ihre Vorstellung überstieg. Er spürte den beinahe vollen Mond draußen vor dem Fenster leuchten, und dieser entmutigte ihn abwechselnd und feuerte ihn an in seinem Begehren, das ihm fast genauso Angst machte wie ihr. Das ging so weit, dass er nicht mehr sagen konnte, wer von ihnen beiden stärker zitterte.
»Nicht jetzt«, protestierte er unter schnellen, heißen Atemzügen. »Nicht jetzt.«
Kestra warf rein aus Selbstschutz den Kopf zurück, als er sich ihrem Mund näherte. Als Reaktion darauf hatte sie auf einmal eine Hand im Nacken, die sie festhielt. Sie spürte das Brennen von Tränen in den Augen und Bestürzung. Erschrocken schrie sie auf, es klang zuerst wie ein Knurren und schwoll dann zu lautem Protest an. Sie strampelte noch heftiger, doch es war, als wäre sie eine Fliege, die festklebte. Schlimmer noch, sie konnte die Reaktionen ihres erregten Körpers immer weniger kontrollieren.
Schließlich gelang es Noah, seinen Mund auf ihren zu pressen.
Ihr Widerstand und ihre Gegenwehr waren nicht neu für ihn. In all den Monaten ihres Zusammenseins war es für sie zu einer Art Vorspiel geworden. Er wusste, dass sie ihre eigenen Gefühle nur dann annehmen konnte, wenn sie zuvor alles getan hatte, um ihn abzuwehren. Der Augenblick, in dem seine Lippen die ihren berührten, das leise Geräusch, das sie von sich gab, verriet ihre wahren Wünsche, zumindest die ihres Körpers, den sie ihm unter größter Anstrengung zu entziehen versuchte.
Es blieb keine Zeit für Zärtlichkeiten zwischen ihnen. Sie hatten stets schnell hochgeschaltet, und diesmal war es nicht anders. Er hatte kaum ihre Lippen berührt, als sich ihr Mund mit einer Schnelligkeit und Aggression öffnete, auf die er augenblicklich reagierte. So zart und schön sie auch war, es gab doch stets ein gewisses Ungestüm unter ihrem zerbrechlichen Äußeren.
Er ließ sich auf ihr Spiel ein, so wie sie sich auf den Kuss einließ. Er küsste sie, schmeckte intensiv ihre Zunge, die Wärme und Feuchtigkeit ihres Mundes wie auch den Zuckergeruch, den ihr restlicher Körper in süßen, duftenden Wellen verströmte. Sie atmete ebenso schwer wie er, und das Keuchen übertönte ihre laut pochenden Herzschläge.
Jasmine landete sanft, und ihre Stiefel glitten leicht über den Asphalt.
Die Vampirfrau warf einen langen, lässigen Blick in die Runde und hob dann den Kopf in den kühlen Herbstwind. Sie roch Dämonen, so wie sie jedes Wesen erspüren konnte, ob Schattenwandler oder nicht. Mit ihrem Geruchssinn oder mit ihrem wärmeempfindlichen Blick blieb ihr in einem gewissen Umkreis nichts, was lebte, verborgen. Leben und Energie, all diese Dinge berührten auf die eine oder andere Weise ihre Sinne, fünf Jahrhunderte Erfahrung hatten in ihr die Fähigkeit entwickelt, die Informationen geschickt einzuordnen. Alles, was sie tun musste, war, die Nickhaut in ihren Augen herunterzulassen, und sofort konnte sie allein an der unterschiedlichen Wärme, die sie abgaben, eine Gruppe Schattenwandler ausmachen. Jeder von ihnen war einzigartig, doch für sie war es, als würde sie das Alphabet heruntersagen. Sie kannte es auswendig.
Sie drehte sich noch mehr in den Wind, als er auffrischte, und ließ ihr bereits zerzaustes schwarzes Haar im Wind flattern. Das weite schwarze Hemd flatterte ebenfalls um ihren athletischen Körper, und der lockere Saum hob sich so weit, dass ihr flacher Bauch zu sehen war, ebenso wie das Glitzern eines Diamantrings in ihrem Bauchnabel und eine dünne Goldkette, die um ihre schmale Taille lag. Sie packte die losen Enden ihrer Bluse und knotete sie unter der Brust zusammen. Der ursprüngliche Knoten hatte sich
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