Schattenwandler 05. Noah
schoss ihre zweite Hand vor, um sein anderes Handgelenk zu packen, so schnell wie eine flackernde Flamme. Kestra war genauso überrascht wie er, falls die hochgezogene Braue dies bedeuten sollte. Sie wusste, dass sie schnell war, doch es bedurfte üblicherweise einer verräterischen Bewegung oder etwas Ähnlichem, dass sie reagierte. Entscheidend war, dass sie normalerweise nicht schnell genug war, um das zu tun, was sie gerade getan hatte. Sie war realistisch, was ihre Grenzen anging …
»Voller Überraschungen, was?«
Kestra stöhnte. Es war, als könnte er ihre Gedanken lesen.
Sie stieß ihn grob von sich, trat zurück und wollte am liebsten davonlaufen, doch ihr Stolz hielt sie davon ab.
»Ich weiß nicht, wer du bist, was du willst oder warum du das alles getan hast«, fauchte sie wütend, »aber du kommst nicht mehr in meine Nähe. Hast du verstanden?«
»Jedes Wort«, stimmte er zu.
Lügen. Lauter Lügen. Sie konnte es in seinem begehrlichen Blick sehen, spürte es mit jeder Faser ihres Seins, als er wieder auf sie zutrat. Sie wurde gejagt. Verfolgt. Kestra wusste nicht, warum er sie so leicht einschüchterte, doch sie reagierte auf diese Bedrohung auf die einzige ihr mögliche Weise.
Noah hielt mitten in der Bewegung inne, als er das vernehmliche Klicken einer Waffe hörte, die entsichert wurde, und er feststellen musste, dass sie genau zwischen seine Augen zielte.
»Ich schwöre bei Gott, ich werde es tun«, stieß sie rau hervor. »Bring mich nicht dazu, den Mann zu töten, der meinen Arsch gerettet hat. Ich hasse es, mich wegen so etwas schuldig zu fühlen.«
Die Bemerkung war ziemlich schlagfertig und belustigte den Dämonenkönig. Sie hatte keine Ahnung, dass die kleine Pistole eher eine Bedrohung für sie war als für ihn. Doch das änderte nichts an der faszinierenden Frage, wie sie mit einem so kurzen und engen Kleid eine Waffe hatte verstecken können.
Noah wusste, dass er sich nicht so verhielt, wie sie es von einem Mann gewöhnt war, auf den sie eine Waffe richtete. Das zunehmende Zittern ihres ausgestreckten Arms und der verkrampften Hand waren klare Anzeichen dafür. Sie musste erst noch herausfinden, dass er kein normaler Mann war, und er wollte nicht mehr warten, bis sie ihn ein bisschen besser kannte.
Diesmal war es der Dämonenkönig, der sich schneller bewegte, als man wahrnehmen konnte, seine linke Hand packte ihr Handgelenk und beseitigte die Gefahr, welche die Waffe für sie beide darstellte. Sein rechter Arm schlang sich blitzschnell um ihre Taille, hob sie hoch und zog sie fest an seinen Körper. Sie war so groß und schlank, so warm, selbst durch das Kleid hindurch, als er sie umfing. Es war, als würde man einen Schlüssel in ein Schloss stecken. Sie schmiegte sich an ihn, Hüfte an Hüfte, Oberschenkel an Oberschenkel, Brust an Brust, als wären sie so geboren und bei der Geburt getrennt worden. Jetzt waren sie endlich wieder ein Ganzes. Noah gab einen rauen Laut der Zufriedenheit von sich, der sich anhörte wie das Seufzen, wenn der Schmerz endlich nachlässt.
Kestra strampelte wütend und besorgt, doch das war ihm gleich. Alles, was zählte, war, dass er sie berührte, dass er so nah war, dass er diesen ungewöhnlichen Duft nach süßem Zucker in sich aufnehmen konnte, den sie in köstlichen warmen Wellen verströmte. Er wusste kaum, was er tat, als er mit der Nase über ihr Kinn, ihr Haar und ihren Hals fuhr. Er hatte sein ganzes Leben lang darauf gewartet, ihr so nah zu sein.
Als seine Lippen ganz sanft ihren Hals berührten, verkrampften sich ihre Muskeln mit einem Mal. Trotzdem hörte sie kaum den Knall der kleinen Kaliber 22, die sie noch immer festhielt. Die Pistole fiel zu Boden, obwohl sie sich sicher war, dass sie sie nicht losgelassen hatte. Es war, als glitte sie ihr einfach durch die Finger, als wären ihre Finger nur Luft.
Doch sie dachte nicht weiter darüber nach. Sie war viel zu überrascht von der Reaktion, die ihren ganzen Körper durchströmte, als seine Lippen über die Schlagader an ihrem Hals fuhren. Durchströmen war das einzig passende Wort, denn es war, als hätte das Blut die Gefäße verlassen.
Sie war wie gelähmt. Gelähmt von Empfindungen und von einem Sturm von Gedanken, die sie niemals hätte haben sollen. Und das alles nur, weil er mit seinen Lippen ihren Hals berührt hatte. Ihr Kopf sank leicht zurück, als wollte sie ihm den Zugang erleichtern, und ihre Hand stemmte sich gegen seinen muskulösen Oberkörper.
Sie war sich dessen
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