Schattenwandler: Adam (German Edition)
die Wildheit überwunden hätten, würde Adams Beruf nicht mehr gebraucht. Er wusste, dass die Mehrheit der Dämonen sich inständig wünschte, dass es keinen Vollstrecker gäbe. Weil er selbst schon in Versuchung geführt worden war, was verbotene Wünsche betraf, fühlte er mit seinen Brüdern. Wenn er es sich recht überlegte, würde Adam seinen Beruf gern aufgeben, falls es irgendwann keine mondbedingten Verrücktheiten oder anstrengenden heiligen Nächte mehr gäbe.
Er schüttelte diese unrealistischen Gedanken ab und konzentrierte sich darauf, seinen lästigen Bruder zu tadeln. »Du bist über zweihundert Jahre alt und angeblich ein hoch angesehener Mann«, sagte er zu Jacob. »Warum verhältst du dich dann nur so, wenn du nicht zu Hause bist?«
»Weil du die Dinge viel zu ernst nehmen würdest, wenn es mich nicht gäbe.«
Jacob duckte sich geschwind, um einem Schlag von Adam auszuweichen.
In diesem Augenblick entdeckte Adam das Zigeunermädchen, das nicht allzu weit entfernt von Jacob stand. Es hatte sich den anderen nicht angeschlossen. Stattdessen hielt es sich abseits und stand da im Mondlicht, verdeckt vom Schatten der Bäume, in einen burgunderfarbenen Kapuzenumhang gehüllt, dessen Stoff ungewöhnlich edel war für ein Mädchen ihres Standes. Sie stand nur wenige Meter hinter Jacob, und ihr Atem bildete Wolken in der Luft. Die Frühlingsnacht war bitterkalt, trotz der Freudenfeuer, die man aus Anlass des Festes entzündet hatte, doch Adam hatte plötzlich das Gefühl, dass es nicht die Kälte war, wegen der sie den Stoff ihres Umhangs so fest um sich zog.
Sie schien Angst zu haben.
Seltsam. Die Zigeuner waren ihm gegenüber sonst ziemlich gelassen. Sie teilten beinahe die gleichen religiösen Überzeugungen und hatten sich als sehr offen und tolerant gegenüber den Dämonen erwiesen. Doch er konnte ihr ihre Angst kaum zum Vorwurf machen, wo ihre Sippe so viele andere Diskriminierungen erfuhr.
»Entschuldigst du mich bitte, Jacob?«
Er hatte das dringende Bedürfnis, mehr über diese seltsame junge Frau zu erfahren. Als Erstgeborener war es seine Pflicht, ein Auge auf alle geladenen Gäste auf dem Familienbesitz zu haben. Ihre Angst schien eine bestimmte Saite in ihm anzuschlagen, und Adam war es gewohnt, seinem Instinkt zu folgen. Er bemerkte, wie Jacob sich umdrehte und ihm nachsah, als er über das kalte, nasse Gras auf das Mädchen zuging. Er sah die dunklen Augen, die ihn unter der Kapuze hervor anstarrten.
Adam verlangsamte den Schritt, als er bemerkte, dass sie nicht ihn anblickte, sondern seinen Bruder.
Er blieb stehen und drehte sich um, um ihrem Blick zu folgen, während er sich fragte, warum sie Jacob so verlangend anstarrte. Vielleicht fühlte sie sich ja zu ihm hingezogen; Jacob war wirklich gut aussehend und hatte attraktive Gene geerbt. Doch sie würde enttäuscht werden, wenn sie glaubte, Jacob in ihr Bett locken zu können. Die Verbindung zwischen einem Dämon und einem Menschen war schließlich das größte Tabu bei den Dämonen. Wegen des Vollmonds allerdings, der über ihnen stand, und nachdem er selbst ein abwegiges Verlangen nach der falschen Frau empfunden hatte, würde Adam ein Auge auf seinen Bruder haben.
Im Augenblick war er froh, dass Jacob das Mädchen überhaupt nicht bemerkt hatte. Jacob wäre natürlich der letzte Dämon, der gegen diesen speziellen Kodex verstoßen würde. Sein Bruder würde lieber sterben, als sich unehrenhaft zu verhalten. Menschen waren so zerbrechlich, so schwach. Es war, als würde man eine Katze am Schwanz packen und sie im Kreis schwingen und bei voller Geschwindigkeit loslassen. Man wusste, dass es falsch war, dass es schmerzhaft und gefährlich war für das kleinere, verwundbarere Wesen und wahrscheinlich sogar tödlich. Jacob war zu so etwas nicht fähig. Davon war Adam zutiefst überzeugt.
Wenn Adam die Grenze überschritten und seinem Verlangen nach der kleinen Vampirin nachgegeben hätte, hätte er lediglich gegen die Gesetze der Reinheit verstoßen. Die freche kleine Schattenwandlerin war ihm trotz ihrer weiblichen Gestalt an Stärke mehr als ebenbürtig, und er hätte ihr nicht wehgetan.
Nicht sehr jedenfalls.
Schon der Gedanke war ziemlich verwegen. Adam verscheuchte ihn und versuchte sich auf das Naheliegende zu konzentrieren. Ein Zigeunermädchen, das Dämonen auf diese Weise anblickte, war ein mögliches Problem. Adam würde der Sache auf der Stelle ein Ende machen, indem er sie in die Schranken wies. Zu flirten war eine
Weitere Kostenlose Bücher