Schattenwende
gespürt, dass es notwendig war, Halie mitzunehmen. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was hätte geschehen können, wenn die Solems erfuhren, dass es sich bei dem Mädchen um eine Liyanerin handelte. Vielleicht wären sie auf die Idee gekommen, ihr das Gleiche anzutun wie Niamh.
Bei dem Gedanken an die Ärztin richtete Daphne ihren Blick auf sie. Niamh kauerte zwischen den beiden Vampiren und obwohl sie versuchte, gleichgültig zu wirken, erkannte Daphne, wie verängstigt sie war.
„Wenn man mir zeitlebens erzählt hätte, dass Vampire bösartige Monster wären, würde ich genauso sein“, dachte Daphne bekümmert. Fast ein bisschen wehmütig dachte Daphne daran, dass sie anfangs auch verängstigt gewesen war und in Reagans Gegenwart gezittert hatte. Und das, obwohl sie bis zu ihrer ersten Begegnung noch nicht einmal geahnt hatte, dass es Vampire geben könnte. Niamh hingegen hatte ihr Leben lang geglaubt, Vampire hätten ihre Mutter getötet.
Die Vampire dachten darüber natürlich anders. Sie waren unerbittlich. Würde Niamh nicht das Symbol der Liya tragen, würde sie nicht mehr leben, davon war Daphne überzeugt. Reagan, vor allem aber Dwightkannte keine Gnade seinen Feinden gegenüber. Und das ließen alle Vampire die ehemalige Solem auch deutlich spüren.
Sprachen sie mit ihr, waren sie schroff und unfreundlich. Sie würdigten die Blondine keines Blickes, außer es war unbedingt notwendig. Berührten sie sie aus Versehen, zuckten sie zurück, als hätten sie sich verbrannt.
Dies alles sorgte keineswegs dafür, dass die ohnehin angespannte Stimmung im Flugzeug sich besserte. Ihre Nerven lagen allesamt blank. Niemand wusste genau, welchem Schicksal sie entgegenflogen. Ria war in den letzten Tagen verdächtig still gewesen, was Daphne zunehmend Sorgen bereitete, denn die Rothaarige war sonst aufgeweckt und fröhlich und strahlte eine Lebensfreude aus, der sich niemand entziehen konnte. Doch davon war in den letzten Tagen nichts zu spüren gewesen.
Insgeheim fragte Daphne sich, ob Ria eine Vision des zukünftigen Geschehens gehabt hatte – und ob sie so furchtbar gewesen war, dass sie es nicht wagte, den Rest der Truppe darüber in Kenntnis zu setzen. Hatte sie vielleicht Damir davon erzählt?
Daphne rieb sich die klammen Finger. Die Temperatur im Jet war gleichmäßig geblieben, aber es kam ihr so vor, als würde es stetig kälter werden je näher sie den britischen Inseln kamen.
„Wann sind wir da?“, fragte sie leise, um die Schlafenden nicht zu wecken.
„Wir sind gleich da. Darragh und Phyrrus warten schon auf uns.“ Reagans Worte sollten beruhigend klingen, das spürte sie. Aber sie
spürte auch seine Rastlosigkeit. Am liebsten wäre sie aufgestanden und zu ihm gegangen, um ihm beizustehen, auch wenn sie nicht wusste wie.
Der Pilot des Jets setzte einige Kilometer abseits der Hauptstadt auf einem kleinen Sportflugplatz in einem Waldgebiet zur Landung an.
Daphne schlang den Arm um ihre Tochter und hielt sie an sich gedrückt. Sie war noch nie ein Freund des Fliegens gewesen und die kurze Landebahn, die sie aus ihrem Fenster heraus gesehen hatte, hatte ihre Nerven auch nicht beruhigen können. Und so war sie froh, als sie ein paar Minuten später endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Cayden nahm ihr das schlafende Mädchen ab, sodass sie sich am Geländer der schmalen Treppe festhalten und die Stufen hinabsteigen konnte.
Unten wurden sie von zwei männlichen Vampiren erwartet. Die ersten beiden, die sie wissentlich kennenlernte, wenn man von der Gemeinschaft absah. Neugierig unterzog sie die schwarz gekleideten Gestalten einer raschen Prüfung. Beide hatten schulterlange, blonde Haare, grüne Augen und herausstechende Wangenknochen.
Und sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich.
„Sie sind Vater und Sohn“, flüsterte Ria ihr zu.
„Sie sehen eher aus wie Zwillinge“, erwiderte Daphne überrascht.
„Finde ich auch“, gab ihre Freundin zu und hakte sich bei ihr unter. „Damir hat mir das vor der Abreise erzählt. Ich schätze, für die Krieger spielt das keine so große Rolle als dass es erwähnenswert wäre.“
Daphne wollte noch etwas sagen, doch in diesem Moment trat der Größere einen Schritt nach vorne und reichte Reagan die Hand.
„Willkommen in London. Wir sind erfreut, dass eure Ankunft früher als von uns erhofft erfolgen konnte“, grüßte Darragh den Anführer, der sich zu einem müden Lächeln zwang.
„Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten uns zu
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