Schattenwende
Teller abstellte.
Daphne lächelte flüchtig, aber er konnte sehen, dass sie mit ihren Gedanken nicht bei ihm und dem Essen war. Ihre Augen waren zwei dunkle Löcher, ohne jegliche Emotion und mit Erschrecken erkannte er, dass das Symbol der Liya nicht mehr so hell leuchtete wie noch einige Tage zuvor.
Konnte es verglühen, wenn seine Trägerin ihre Bestimmung von sich schob und sich weigerte, sie zu akzeptieren? Er wusste es nicht. Solch einen Fall hatte es noch nicht gegeben, seit er denken konnte. Doch bisher hatte man alle Liyanerinnen rechtzeitig auf ihr Schicksal vorbereiten können. Wenn es auch nur wenige gewesen waren.
Er beobachtete, wie unbeteiligt sie sich dem Essen widmete. Sie wartete nicht einmal auf eine Antwort von ihm. Als hätte sie nur zu sich selbst gesprochen und nicht zu ihm. Er musste unbedingt einen Weg finden, sie davor zu bewahren sich selbst zu zerstören. Kein Mensch konnte mit dem minimalen Bestand an Gefühlen auskommen, den sie sich gestattete. Emotionen erzeugten einen großen Teil der Energie, die eine Liyanerin und auch die Vampire benötigten. Beides waren hoch entwickelte, psychisch ausgerichtete Wesen, die auf rein körperlicher Basis nicht überleben konnten. Das war auch der Grund, warum ein Krieger wie er nur eine Bindung mit einer Liyanerin eingehen konnte. Jeder anderen Frau würde er durch das Band, das sie teilten, zu viel Energie entziehen.
Vermutlich war Daphne bereits derart strapaziert, dass sie nie mehr in der Lage sein würde, solch eine Verbindung einzugehen. Am liebsten hätte der Vampir irgendetwas demoliert. Irgendetwas kurz und klein geschlagen. Der Anführer in ihm war stinksauer über diese Verschwendung. Und er machte sich Vorwürfe, nicht auf Damir gehört zu haben, der ihn beschworen hatte, sie direkt zu sich zu holen.
Doch ihm standen noch zwei Wege offen, und er war bereit, den einen oder den anderen einzuschlagen: Er konnte Dwight zwingen, sich ihrer anzunehmen. Oder er konnte selbst versuchen, sie ins Leben zurückzuholen. Aus ihrer selbst erwählten Zerstörung.
Vielleicht bestand noch Hoffnung, überlegte er, als er an die Verzweiflung dachte, die sie sorgsam versteckt hielt und die nur manchmal ans Tageslicht trat. Dank ihrer Tochter war sie vielleicht noch nicht verloren. Unvermittelt stand er auf und griff grob nach ihrem Arm. Ohne besonderen Kraftaufwand zog er sie auf die Beine, verschloss sich aber vor ihrem erschrockenen Gesichtsausdruck.
„Was …“, fragte sie entgeistert. „Lass mich sofort los!“
„Komm mit“, unterbrach er sie schroff und es war deutlich zu erkennen, dass sie schlichtweg zu entsetzt war, um sich gegen ihn zu wehren. Er schmiss achtlos einen Geldschein auf den Tisch und verließ ohne einen Moment innezuhalten mit ihr das Restaurant. Er spürte ihren Widerstand wachsen, weswegen er einmal mehr seine telepathischen Sensoren dazu nutzte, um ihr Bewusstsein in einen leichten Dämmerzustand zu versetzen.
„Ich zeig dir jetzt, wo ich mich am liebsten aufhalte“, flüsterte er düster.
Kapitel 5
Wenn man herausfindet, welches Puzzleteil es ist, das zum Ganzen fehlt, ist es doch immer etwas anderes, als man erwartet hat.
Daphne, Liyanerin
Dies war seine letzte Chance.
Wenn er die vermasselte, würde er sich selbst hassen. Er hatte einmal versagt, aber ein zweites Mal würde und durfte ihm das nicht passieren.
Lex schnüffelte.
In der stickigen Luft von South L.A. vermischten sich viele Gerüche. Abgase von klapprigen, alten Autos, das billige Parfüm der Prostituierten, Zigarettenrauch und der leicht süßliche Duft von Marihuana. Zusammengesetzt ergab all das einen ekelerregenden Gestank, den man nur aushalten konnte, wenn man hier lebte und ihn gewöhnt war.
Lex war ihn gewöhnt.
Gerade deshalb war er überrascht, als er eine neue Duftnote inmitten dieser Vielfalt von Ausdünstungen witterte. Prüfend atmete er tief ein, nahm sie in sich auf. Doch, da war etwas, er täuschte sich nicht.
Wie ein seidener Faden zog sich ein exotisches, andersartiges Aroma durch die Straßen. Ein wildes Zucken lief durch Lex’ angespannten Körper. Es fühlte sich vertraut an. Gierig sog er erneut die Luft ein, nahm Witterung auf und folgte der Spur, die man für ihn gelegt hatte. Vermutlich unabsichtlich, in der Hoffnung, niemand würde sie bemerken. Aber er war der geborene Killer und ihn konnte man nicht täuschen. Nicht, wenn er etwas unbedingt haben wollte.
Lex setzte sich wie automatisch in Bewegung, stieß eine
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