Schattenwende
einmal befragen“, schlug Damir mit gerunzelter Stirn vor.
„Ich glaube nicht, dass Befragungen nützlich sind. Du hast ja gehört, die Betroffenen haben keinerlei Erinnerungen an den Vorfall“, warf Cayden ein.
„Wir wären keine Shadowfall-Krieger, wenn wir in solchen Fällen keine Möglichkeiten hätten zu handeln“, murmelte Reagan mit einer plötzlich seltsamen Ruhe.
Alle Augenpaare richteten sich auf ihn.
„Wozu haben wir einen Empathen unter uns?“, fragte er und richtete seinen harten Blick auf Dwight.
Der kniff die Augen zusammen.
„Vergiss es“, grollte er.
Reagan lächelte kalt und schlich auf ihn zu.
„Es wird langsam Zeit, dass du deine Gabe in den Dienst der Gemeinschaft stellst. Wenn sie gebraucht wird, hast du sie zur Verfügung zu stellen. Du bist der Einzige, der in ein fremdes Bewusstsein eindringen kann, ohne dabei unerträgliche Schmerzen zu verursachen, wie es der Fall wäre, wenn wir es bei einem fremden Vampir versuchen würden.“
„Da irrst du dich aber gewaltig“, zischte Dwight und wich vor ihm zurück. „Bei mir wird es nur noch viel qualvoller.“
Reagan setzte ihm nach und seine Hand schnellte vor, um Dwight an der Kehle zu packen.
„Es kommt darauf an, ob du jemandem wehtun willst oder nicht. Nur darauf. Du kannst es, wenn du es nur willst.“
Dwights eisblaue Augen schossen giftige Pfeile in seine Richtung, aber der Anführer ließ sich davon nicht beeindrucken.
„Vielleicht will ich anderen aber wehtun. Vielleicht liegt es in meiner Natur, anderen Schmerzen zuzufügen.“ Dwight riss sich los und schoss in die entgegengesetzte Ecke des Zimmers. Sein Atem ging schwer.
„Wenn ich es tue, zermalme ich sein Inneres. Das würde ich an deiner Stelle nicht riskieren“, fügte Dwight fauchend hinzu.
Plötzlich aber jaulte er auf und fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen. Reagan stand bewegungslos auf der Stelle und starrte ihn an. Seine sonst pechschwarzen Augen leuchteten und funkelten in den schillernden Regenbogenfarben eines Kriegers, bis ein dunkles Rot, voller Rage und Aufgebrachtheit den Platz des tiefen Schwarz einnahm.
Dwight ging in die Knie, presste seine Hände an den Kopf und wimmerte. Sein massiger Körper schlug hart auf den Boden auf, als er nach vorne fiel.
„Wenn ich dir etwas befehle, hast du zu gehorchen, oder du fliegst raus“, sprach Reagan leise.
Mit einem Stöhnen ließ Dwight die Hände sinken. Der hohe Druck, den Reagan mittels seiner psychischen Kräfte in seinem Kopf erzeugte hatte, war verschwunden und hinterließ nur noch ein schwaches Ohrensausen.
„Hört auf damit. Ich tue es.“
Eine helle Stimme durchbrach die gewaltsame Atmosphäre und die Vampire fuhren zu der zierlichen Person herum, die bleich und verschreckt im Türrahmen stand.
Daphne.
Es war nichts mehr so, wie es einmal war.
Er konnte morgens seinen rituellen Kaffee nicht mehr trinken, weil er viel zu früh zur Arbeit musste und ihm die Zeit für die morgendliche Routine fehlte. Abends kam er selten vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause und verpasste somit jeden Abend die Nachrichten. Sogar seinen Arbeitskittel hatte man ihm abgenommen und gegen einen neuen, in diesem scheußlichen Grün gehaltenen, ausgetauscht.
Die Mitarbeiter, die ihn früher belächelt hatten, waren nun höflich und sprachen respektvoll mit ihm. Sie fragten ihn bei schwierigen Fällen um Rat und verrichteten einen großen Teil seiner alten Arbeit, für die er seit dem Wechsel in das neue Projekt keine Zeit mehr fand.
Das neue Projekt.
Nachdem er mit Jones unten in der Blutabnahme gewesen war, hatte er das Kellergeschoss des Hauses nicht mehr betreten. Seit diesem Tag suchten ihn nachts Alpträume heim, von Wesen mit Klauen und Reißzähnen und diabolisch-roten Augen, lechzend und voller Gier nach seinem Blut. Er hatte von Anfang an den Eindruck gehabt, an dem Projekt sei etwas faul. Dass sich aber Vampire dahinter verbargen, das war das Letzte, womit er gerechnet hatte.
Der gequälte Ausdruck in den Augen des Vampirs verfolgte ihn jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde. Er war nie ein Kenner von Gefühlen gewesen, hatte sie immer als unwichtig und nervenaufreibend abgetan. Aber was er da gesehen hatte, war so überwältigend, so intensiv gewesen, dass es ihn nicht mehr losließ. Diese hohe Emotionalität hatte er bei noch keinem Menschen gesehen und sie unterschied sich grundlegend von dem, was ein Mensch imstande war zu fühlen. Vielleicht war er aus diesem Grunde so
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