Schattenwende
Vampir nicht einen mächtigen Satz auf sie zu gemacht und sie aufgefangen.
„Hast du dich mal reden hören, Dwight? Du hörst dich schon genauso an wie sie “, zischte Reagan angewidert.
Die Augen des unterlegenen Vampirs sprühten vor Hass, als er vom Boden aufstand und sich mit dem Ärmel seines Shirts das tropfende Blut aus dem Gesicht wischte.
„Sie sind doch alle gleich“, fauchte er. „Es ist nicht nur die Organisation, die uns ausrotten will. Wüsste die ganze Menschheit von unserer Existenz, würden sie alle uns jagen, ohne jedes Erbarmen. Ohne die Gnade, die du ihnen zuteil werden lässt. Ihnen wären wir scheißegal.“
„Nein.“ Ein schwaches Flüstern ertönte. Daphne schüttelte den Kopf.
„Das ist nicht wahr. Wir sind nicht alle so grausam wie du annimmst.“
Dwight legte den Kopf und zurück und lachte laut. Laut, hart und verbittert.
„Was weißt du schon von solchen Dingen, Menschenweib. Du hast doch keine Ahnung. Du bist blind, wie ihr es alle seid! Die Menschen rotten schon seit jeher alles aus, was ihnen im Weg steht. Sei es aus Gier oder einfach aus rücksichtsloser Freude. Irgendwann wird es keine Natur mehr geben, alles wird niedergebrannt sein. Es wird keine Tiere mehr geben, denn wenn ihr nach ihrem Fell oder ihrem Fleisch trachtet, dann vergesst ihr jegliche sogenannte Humanität.“
Dwight bewegte sich auf die Tür zu und Cayden griff Daphnes Arm, um sie aus dem Türrahmen zu ziehen.
„Stell dich nicht selbst über andere, Dwight. Wie viele Menschen hast du schon auf dem Gewissen? Siehst du nicht selbst in ihnen Tiere und trachtest nach ihrem Leben?“, murmelte sie mit angehaltenem Atem.
Ohne eine Antwort zu geben rauschte der Vampir an ihnen vorbei. Erst im Flur drehte er sich noch einmal um und musterte sie kalt.
„In einer Stunde fangen wir an. Halte dich bereit.“ Damit verschwand er endgültig.
Daphne blickte ihm nach. Sie hatte Angst vor ihm und vor ihrem Training, denn sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, zwischen ihnen stand sein blanker Hass.
Reagans heisere Stimme holte sie in die Gegenwart zurück.
„Cayden, du wirst dabei sein und aufpassen, dass nichts geschieht. Das Vertrauen, das ich in ihn gesetzt habe, bröckelt allmählich. Der Hass, der in ihm tobt, wird mit jedem Tag stärker und ich frage mich, wie lange er ihm noch standhalten kann.“
Der blonde Krieger nickte bedrückt.
Dwight hatte nicht den blassesten Schimmer, wie er dieser Frau beibringen sollte, ihre Gabe zu beherrschen. Er selbst beherrschte diese Fähigkeit nicht auf die Weise, die Reagan sich wünschte und die sie erlernen sollte. Ganz im Gegenteil – ihm war es erfolgreich gelungen, seine empathischen Sinne zu unterdrücken, sie zu verbannen. Ihm lag jegliches Mitleid anderen Wesen gegenüber fern. Er lebte für die Gemeinschaft, doch nurLoyalität und Rachegelüste banden ihn an sie. Er lebte für seine Rasse, doch nur die gemeinsame Zugehörigkeit und Treue banden ihn an sie. Er lebte für sie, doch er liebte sie nicht. Er kämpfte für ihre Freiheit, doch er litt nicht mit ihr. Er hatte tapfere Krieger, frühere Mitglieder der Gemeinschaft, unter der Heimtücke des Feindes fallen sehen, hatte ihren Verlust bedauert, bedeutete er schließlich eine Schwächung für die übrigen Krieger. Doch betrauert hatte er sie nicht. Er hatte seinen eigenen Schmerz schon vor sehr langer Zeit aus seinem Bewusstsein vertrieben, hatte Mauern um sich herum errichtet, die unendlich lang waren, bis hoch in den Himmel reichten und so dick und stark wie die mächtigsten Schutzwälle. Nichts konnte hindurchdringen. Nichts und niemand. Nicht einmal seine Brüder hatten ein Schlupfloch, einen losen Ziegel gefunden, um diese Mauer zu durchbrechen. Er hatte sie stets eisern aufrecht erhalten und gegen alles, was dagegen schlug, angekämpft. Mit Erfolg.
Er war abgestumpft, frei von Emotionen und vollkommen leer. Das einzige Gefühl, das er sich gönnte, war die Gier nach Vergeltung. Für all das ausgelöschte Leben, für alles, was man ihm genommen hatte. Was die Menschen ihm genommen hatten.
Er würde den Schmerz tausendfach zurückzahlen, auch wenn er sich kaum noch daran erinnern konnte, wie dieser Schmerz, diese Trauer über den Verlust sich überhaupt anfühlte. Er wusste nicht mehr, was es hieß, zu fühlen. Er wollte es gar nicht mehr wissen.
Gefühle machten nur schwach. Sie hielten davon ab, notwendige Dinge zu tun, die andere als grausam bezeichnen würden.
Er war nicht grausam.
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