Schattenwende
Er war kalt, berechnend und absolut pragmatisch. Er tat, was getan werden musste, egal um welchen Preis. Erbarmungslos.
Er wusste auch, dass es klüger war, dieses Menschenweib an den Jungen ranzulassen. Bei ihrem kurzen Zusammenstoß hatte ihm sich ihre Gabe offenbart und sie war stark. Unkontrolliert zwar, aber stark. Die kleine Kostprobe hatte gereicht, um zu erkennen, dass sie ihm beinahe das Wasser reichen konnte. Seine Mauer hatte diesen Ansturm nur mühsam abwehren können und er wusste nicht, ob sein Schutz noch einmal ausreichen würde. Unter keinen Umständen würde er sich dieser Frau auf mehr als einige Meter nähern. Was in ihm vorging – oder auch nicht – war ganz allein seine Sache und ging sie nichts an. Genau diese Distanz, die erzu ihr aufbauen wollte, würde es schwierig für ihn machen, ihr zu zeigen, wie sie ihre Gabe beherrschen konnte. In der Regel basierte die Verbindung, die er zu ihr aufnehmen musste um sie einzuweisen, auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt. Mit bloßer Theorie würde sie nicht verstehen, worum es ging. Er musste es ihr zeigen, musste seinen Geist mit ihrem verbinden, damit sie begriff.
Er steckte also in einer ziemlichen Zwickmühle, denn das allerletzte, was er wollte, war sie in seinem Kopf herumgeistern zu lassen.
Alarmiert tigerte er in seinem Schlafzimmer auf und ab, mit jedem Schritt wuchs seine innere Anspannung. Er presste seine Kiefer so fest aufeinander, dass sie drohend knackten.
„Verfluchte Scheiße“, fauchte er und rieb sich über die Schläfen.
„Dwight?“ Eine zarte Stimme riss ihn aus seinen Grübeleien und er hob unwillig den Kopf.
„Du bist zu früh“, blaffte er Daphne an.
Sie ignorierte seine Schroffheit, obwohl sie angesichts seines harschen Tonfalls leicht zusammenzuckte, und trat einige Schritte in den Raum hinein.
Zögernd stand sie da, abwartend und mit gesenktem Blick, als warte sie darauf, dass er ihr erlaubte, sich zu ihm zu gesellen.
Er sagte nichts.
„Wollen wir woanders hingehen?“, fragte sie schließlich leise. „Irgendwohin, wo es neutral ist?“
„Nein“, unterbrach er sie barsch. „Wir bleiben hier. Mir ist es scheißegal, wo wir sind.“
Daphne deutete ein Nicken an und setzte sich nach sichtlichem Zögern auf die Lehne der schwarzen Ledercouch. Dabei bemerkte sie beiläufig, dass diese nicht das einzige schwarze Möbelstück im Zimmer war. Beinahe alles hier war schwarz.
Die Wände waren schmucklos, es gab keine Bilder, keine Pflanzen, nichts. Eine düstere, fast schon bedrohliche Atmosphäre hing greifbar im Raum. Es war dunkel und leer. Hätte sie es nicht ohnehin schon gewusst, hätte sie sofort erraten, dass Dwight hier wohnte.
„Genug gesehen?“, unterbrach er sarkastisch ihre verstohlenen Beobachtungen.
Sie warf ihm einen langen Blick zu, den er nicht einordnen konnte.
„Ich bin früher gekommen, weil ich dachte, ohne Cayden könnten wir vielleicht besser arbeiten“, sprach sie schließlich.
„Besser arbeiten?“, wiederholte er spöttisch. „Hast du keine Angst, ich könnte dir etwas antun, wenn du mit mir alleine bist? Und lüg mich nicht an. Ich kann das Rasen deines Herzschlags bis hierhin hören.“
Tatsächlich hatte er Recht. Ihr Herz raste und das Atmen fiel ihr schwer, so heftig bemühte sie sich darum, einen gefassten Eindruck zu machen. Trotzdem vertraute sie darauf, dass der Vampir seine Pflicht über seine persönliche Abneigung stellen würde. Sie schätzte ihn als brutal und gewissenlos ein, aber ebenso als treu und loyal. Er hatte Reagan ein Versprechen gegeben.
Sie hoffte sehr, dass er sich an sein Wort halten würde.
„Nein, habe ich nicht“, antwortete sie leise. Der eisige Luftzug, den er verursachte, als er sich näherte, jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken und ihre Nackenhaare stellten sich auf.
„Du vergisst, dass ich ein Empath bin und deine Gefühle spüren kann“, wisperte er, wobei die Leblosigkeit in seiner Stimme seine Worte Lügen strafte.
„Du könntest sie spüren, wenn du es wollen würdest“, entgegnete sie und blieb stocksteif stehen. Sie wollte keine Angst zeigen.
Er stieß ein böses Zischen zwischen seinen Fängen aus, ehe er herumwirbelte.
Cayden stand mit einem strahlenden Lächeln im Türrahmen und winkte ihnen zu.
„Ihr habt doch nicht etwa schon ohne mich angefangen, oder?“, wollte er wissen.
„Nein, nein“, antwortete Daphne schwach.
Mit weit ausholenden Schritten betrat er den Raum und setzte sich neben sie auf
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