Schattenwende
sagen, dass es meine Schuld war, dass Sie entkommen sind.“
„Und wenn das eine Falle ist? Wenn es helllichter Tag und das nur eines von euren grausamen Spielchen ist?“
Hinter der Stirn des Vampirs arbeitete es, er musste sich an diesen Halm von Hoffnung klammern, wenn er nicht wahnsinnig werden wollte. Er wusste genau, wo er hier war. In einem der Lager der Organisation.
Er hatte bis zum heutigen Tage nicht geglaubt, dass es sie tatsächlich gab. Ihm und allen anderen Vampiren, die er kannte, waren die Geschichten, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, immer wie böse Märchen erschienen. Niemals hätte er damit gerechnet, diesen Gestalten tatsächlich einmal in die Hände zu fallen.
Und nun war dieser schleimige Mann in dem ekelhaft grünen Kittel seine einzige Chance.
„Es ist Nacht. Wirklich. Ich schwöre es.“
Der Vampir befeuchtete seine trockenen, rissigen Lippen, während er fieberhaft nachdachte. Sein Verstand war vom dem eklig-süßen Mittel, mit dem sie ihn außer Gefecht gesetzt hatten, noch benebelt.
„Warum tust du das? Einem Vampir helfen?“
Der Mann schwieg und fuhr sich mit fahrigen Händen über sein Gesicht.
„Ich … mir ist etwas eingefallen, von dem ich glaubte, es schon vor sehr langer Zeit vergessen zu haben. Eine sehr weise Frau sagte mir einmal, dass ich mir selbst ein Urteil bilden sollte. Zu lange habe ich mich von der angeblichen Klugheit anderer Menschen blenden lassen. Diese Frau war so stolz, dass ich mit drei Jahren schon lesen und rechnen konnte. Ich konnte so vieles, was andere erst später erlernt haben. Mein kleiner, cleverer Junge wird es einmal ganz weit schaffen!, hat sie gesagt. Sie wäre unglücklich, wenn sie hätte miterleben müssen, wie ich meinen Verstand begraben habe. Deshalb will ich von Ihnen die Wahrheit wissen und appelliere an Ihr Ehrgefühl, mich nicht anzulügen.“
Manche Vampire, so wie der, der gerade vor Smith lag und ihn fassungslos anstarrte, besaßen den glücklichen Instinkt, den Wahrheitsgehalt von gesprochenen Worten spüren zu können. Wie jeder Instinkt konnte auch dieser trügerisch sein, doch der Vampir war sich in diesem Moment sicher. Der Mann, der vor ihm stand, war vielleicht ein Solem, aber jetzt und hier sprach er die Wahrheit. Seine Wahrheit.
„Frag. Und dann lass mich gehen“, befahl er heiser.
Der Vampir konnte die Angst des Mannes riechen, als er sich vorbeugte. Ihm wurde bei dem Gestank beinahe übel. Mühsam riss er sich zusammen.
„Fühlt ihr? Ich meine, fühlt ihr etwas anderes als Blutgier und Mordlust? So was wie Familienzugehörigkeit? Freundschaft? Zuneigung?“
Der Vampir lächelte und entblößte ein kleines Paar Fangzähne.
„Es sind nicht wir, die andere Lebewesen gefangen nehmen und danach trachten, sie zu töten und ihnen mit solch fanatischem Hass begegnen. Nein, es sind nicht wir, die den Frieden stören.“
Damit verstummte er. Er hatte genug gesagt.
Smith sagte einen Moment gar nichts, sondern starrte nur mit unbewegter Miene an die Wand. Sein Blick war leer und irgendwie fassungslos.
„Ich habe es doch gewusst. Geahnt. Irgendetwas war immer faul“, murmelte er zu sich selbst.
„Mir egal, was du geahnt hast oder nicht. Lass mich jetzt raus.“
„Was …? Oh, ja natürlich. Aber bitte, halten Sie noch still. Ich muss …“, stotterte der Mann.
„Wenn du dich nicht an dein Versprechen hältst, wird meine Familie es herausfinden und sie werden dich bis ans Ende der Welt verfolgen, wenn mir etwas zustößt“, knurrte er warnend.
Der Mann hob abwehrend die Hände.
„Nein, bitte … Ich helfe Ihnen ja. Haben Sie nur noch einige Minuten Geduld. Sonst schlägt meine Mitarbeiterin Alarm, sobald ich mich den Gurten nähere.“
Smith atmete tief durch. Jetzt kam es auf Schnelligkeit an.
„Verdammt! Wie konnte ich das nur vergessen?“, fluchte er laut und ärgerlich.
Das Gesicht der jungen Frau verzog sich zu einer fragenden Grimasse und er winkte sie zu sich.
„Wissen Sie, wo mein Büro ist? Ich habe wichtige Unterlagen auf meinem Schreibtisch liegen lassen. Könnten Sie mir die holen? Oder nach jemandem suchen, der das tun kann?“
Die Frau biss sich unsicher auf die Unterlippe. Ihr Blick flog zwischen ihm und dem Vampir, der unbeteiligt an die Decke starrte, hin und her.
„Na los. Oder meinen Sie, ich möchte noch meinen ganzen Feierabend hier verbringen?“, herrschte er sie härter als beabsichtigt an.
„Natürlich“, stammelte sie eingeschüchtert und lief
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