Schattenwende
fort. Ihm entging nicht, dass sie die Glastür hinter sich mit ihrem Schlüssel verschloss.
Sobald sie außer Sichtweite war, machte er sich an den Gurten zu schaffen. Das unruhige Zappeln des Vampirs erleichterte es ihm nicht gerade, sie zu lösen, doch er schwieg. Er wollte den Zorn des Vampirs nicht auf sich lenken, jetzt, wo er ganz allein mit ihm war.
„Können Sie laufen?“, erkundigte er sich, stammelnd und am ganzen Leibe schlotternd, als die Gurte zu Boden fielen.
Der stechende Blick des Vampirs traf ihn und er lächelte. Überraschend freundlich.
„Es geht. Öffne nun die Tür. Ich kann ihre eilenden Schritte bis hierhin hören. Sie wird gleich zurückkommen.“
Smith führte ihn zum Notausgang. Der Vampir riss die Tür auf, ohne auf das plärrende Sirenengeschrei zu achten, das sofort losheulte, als er über die Schwelle trat.
Behände schwang er sich auf das Treppengeländer, das unter seinem Gewicht wackelte.
„Mach’s gut, Mensch. Ich weiß nicht, was sie jetzt mit dir tun, aber an deiner Stelle würde ich jetzt meinen Abzug planen.“
Das letzte, was Smith von ihm sah, war ein Schatten, der in der Nacht verschwand.
Er hatte einem Vampir zur Flucht verholfen – und fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben wie jemand, der eine gute Tat vollbracht hatte.
Goldene Nebelschwaden umschmeichelten sie weich. Inmitten dieser Dünste zuckten helle, farbige Blitze auf, mal rot, mal blau, mal violett. Das Grelle des Lichtes hätte ihr das Augenlicht geraubt, hätte sie dieses Mysterium mit ihren physischen Augen bewundert. Eine wohlige Wärme umspülte sie, als sie sich durch den Strudel des nebligen Stromes treiben ließ. Der goldene Schein legte sich wie warmer Wasserdampf auf ihr Selbst. Sie war erfüllt von Freude und Verzückung, so dass sie versucht war, unterzutauchen und eins mit dem Bewusstsein zu werden, das so voller Leben war. Es pulsierte stark und mächtig.
Manchmal passierte sie dunkle Stellen, die wie Löcher wirkten und einen winzigen Teil der strahlenden Energie absorbierten. Daphne konnte sie nicht benennen, denn ihren Verstand hatte sie in ihrer Euphorie noch nicht vollständig wiedergewonnen, dennoch erkannte sie instinktiv, dass diese Löcher für alles standen, was an der Energie einer Seele zehren konnte. Ängste, Sorgen, Wut und Erinnerungen, die alles zerfraßen, was gut war.
An anderen Stellen teilte sich der Fluss des goldenen Dunstes und erhellte schwach die Eingänge von Abzweigungen. Sie vergabelten sich dort und führten weit fort, vielleicht zu den tiefer gelegenen Ebenen von Caydens Sein. Zu gern hätte sie gewusst, was es dort zu sehen gab, aber Dwight hatte erwähnt, dass sich dort längst vergrabene Vergangenheit befinden könnte und es stand ihr nicht zu, etwas zu sehen, was nicht für sie bestimmt war. Sie verstand, dass nicht nur sie ihre Schutzmauern gesenkt hatte, um in den Geist eines Vampirs zu gelangen, auch Cayden hatte sich fallen lassen müssen, um ihr tastendes Bewusstsein zu empfangen.
Die Vertrautheit, mit der sie Caydens Geist begegnete, erschreckte sie ein wenig. Immer hatte sie die Gefühle anderer Wesen wahrgenommen. Auf einer weitaus höheren Ebene mit ihnen zu kommunizieren, die nicht nur aus der ihr bekannten Einseitigkeit bestand, war allerdings eine gänzlich neue Erfahrung. Nun begriff sie auch, was Dwight meinte, als er sie auf die Gefahr hingewiesen hatte, sich in dem anderen zu verlieren. Dieser energiegeladene Strom war so verlockend, so herrlich warm und wunderschön, dass sie sich hier eine kleine Ewigkeit hätte aufhalten können, ohne das Verrinnen der Zeit oder das Abgleiten des eigenen Geistes zu bemerken.
Erneut blitzte es auf, und das weiche Meerblau verwandelte sich erst in ein dunkles Violett und wurde dann schnell zu einem aggressiven Rot. Es störte sie in ihrer Zufriedenheit und sie erwog für einen Augenblick, einfach tiefer zu gleiten und das Gold der Fluten über sich schwappen zu lassen.
Bis sie erkannte, dass die funkelnden Blitze Gedanken waren. Sie trieb voran, durch die wogenden Nebelwellen und tauchte in die roten Blitze ein.
Panik erfüllte sie, nicht ihre eigene, sondern Caydens. Eindringlich, bittend, flehend umgab sie das Gewitter, als wolle es ihr etwas sagen.
Es kitzelte an ihren Sinnen und ließ in ihr wieder den Wunsch entstehen, zu verschwinden. Eine bisher unbekannte Sehnsucht begann an ihr zu zupfen und flüsterte mit samtiger Stimme Verführungen in ihr Ohr. Die Stimme klang ihrer eigenen
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