Schattenwesen
lesen, denn sein Blick verdüsterte sich.
»Ich hatte also recht«, sagte er und seine Stimme klang längst nicht so fest wie sonst. »Du hältst mich für einen Dieb.«
Ich suchte nach Worten, um ihm zu widersprechen. Er beugte sich vor und griff an mir vorbei nach dem Porträt auf dem Schreibtisch.
»Ich habe eine Chemikalie aus dem Labor geholt, die ein Bild schnell und ohne Rückstände zersetzen kann. Ich vernichte dein Schwarz und auch dieses Porträt, wenn es dir nicht gefällt.«
Ruckartig wandte er sich ab und stellte sich neben die Tür, die er auffordernd für mich aufhielt.
»Mach dir keine Sorgen!« Sein Lächeln war unecht und ich spürte, dass er mich nur loswerden wollte. »Geh ins Bett, du musst wirklich schlafen!«
Mein Gähnen war genauso unecht. »Stimmt schon! Ich fall gleich im Stehen um.« Dann ging ich in Richtung Leiter.
Als ich mich noch einmal umwandte, sah ich Cyriel in der entgegengesetzten Richtung verschwinden, vorbei an der Labortür, tiefer in den Gang hinein. Bevor ich darüber nachdenken konnte, hatte ich die Leiter losgelassen und folgte ihm. Leise, obwohl ich vor mir keine Schritte mehr hören konnte. Wohin ging Cyriel mit den Bildern? Zur Tür am Ende des Gangs? In einen Vorratsraum voller Ratten?
Und wieder tappte ich in völliger Dunkelheit vor mich hin – buchstäblich. Cyriel hatte kein Licht mitgenommen, sonst hätte ich es vor mir gesehen. Brauchte er keines? Nun, wenn ich nicht gesehen werden wollte, konnte ich meine Lampe auch nicht einschalten. Als ich die Kurve erreichte, hörte ich endlich wieder ein Geräusch. Keine Schritte. Nur eine Tür, die vor meiner Nase ins Schloss fiel. Schnell zog ich die Taschenlampe hervor, schaltete sieein, umfasste die Klinke und riss die Tür auf. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte dahinter etwas gesehen. Doch dann wurde mir klar, dass es ein Kartoffelsack war. Vor mir lag der Vorratsraum, den Gabriel mir gezeigt hatte, und ich blickte auf ein Regal voller Marmeladengläser. Sackgasse!
Mein Unterbewusstsein erinnerte mich an das, was Cyriel gesagt hatte: Schwarz ist alle Möglichkeiten, der Weg in die Unendlichkeit. Und plötzlich machte das unzusammenhängende Zeug Sinn! Mit Licht vertrieb man Gespenster. Wenn man sie suchte … brauchte man absolute Dunkelheit!
Mit angehaltenem Atem stellte ich mich noch einmal vor die Tür, schloss sie von außen und löschte das Licht. Ich war absolut blind und allein mit meinen Gedanken. Dann streckte ich die Hand aus und öffnete die Tür erneut.
Feuchte, kalte Luft schlug mir entgegen. Sie roch muffig, nach altem, nassem Stein. Von weiter her erklang ein Jammern, das schaurig von den Wänden widerhallte. Ob das eine Katze sein konnte? Eher nicht, flüsterte mein Verstand, der ansonsten gerade erstaunlich wortkarg war. Vielleicht hatte ich auch seine letzte Warnung überhört, denn ich ging hinein und schloss die Tür hinter mir.
Kira
Die Dunkelheit umfing mich und ich wusste nicht, ob sie mir feindlich oder freundlich gesinnt war. Schwarz ist also der Weg in die Unendlichkeit? Ich hatte eher das Gefühl, mich auf dem Weg ins Nichts zu befinden.
Jetzt konnte ich es wohl riskieren, meine Taschenlampe wieder einzuschalten. Ihr Lichtstrahl wanderte über dunkle Mauern links und rechts. Ich wandte mich um, um zu sehen, wie die Tür von dieser Seite aussah, um mir den Rückweg zu merken. Aber … sie war verschwunden! Mit Mühe unterdrückte ich die Panik, schaltete die Taschenlampe wieder aus und betastete im Dunkeln die Wand. Nervös wanderten meine Finger über rauen Stein. Dann Holz. Schließlich fanden sie eine Klinke. Ich atmete auf. Sie war noch da, wartend in ihrem Schwarz.
Wenn ich Cyriel noch erwischen wollte, musste ich mich beeilen. Im Lichtkegel meiner Lampe folgte ich dem engen steinernen Gang um einige Kurven. Er wirkte mindestens so alt wie der Tiefkeller der Nachtmanns. Wo war ich hier gelandet? Bald wurde es heller und ich konnte die Taschenlampe ausschalten. Ich kam an einer Treppe vorbei, aber ich hoffte, dass Cyriel weiter geradeaus gegangen war. Neben der Treppe stand eine Tür offen. Im Vorbeigehen spähte ich hinein, um sicherzugehen, dass er nicht dort war. Erstaunlich! Darin befand sich eine Folterkammer, genauso groß wie die, die ich mit Gabrielbesichtigt hatte, nur dass diese hier komplett eingerichtet war. Hatte es in der Burg mehrere gegeben? Es konnte jedenfalls nicht dieselbe sein, denn die Treppe daneben war vor knapp vier Tagen noch verschüttet
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