Schau Dich Nicht Um
lad dich zu einem anständigen Mittagessen ein.«
»Was fällt dir eigentlich ein?« Jess gab dem Mann am Stand mit
einer Handbewegung zu verstehen, daß sie einen neuen Hot Dog wollte. »Wenn du den anrührst, riskierst du deine Finger«, sagte sie, nur halb im Scherz.
»Eines Tages wirst du als Dickmadam aufwachen«, versetzte er warnend. Dann lächelte er dieses irgendwie närrische Lächeln, das man erwidern mußte, ob man wollte oder nicht.
Jess biß von ihrem neuen Hot Dog ab und fand ihn nicht so gut wie den ersten.
»Und - wie geht’s so?« fragte sie. »Ich hab was von einer neuen Freundin läuten hören.« Sofort war ihr die Bemerkung peinlich, und sie fegte sich in ihrer Verlegenheit ein paar imaginäre Krümel vom Revers ihrer Jacke.
»Wo hast du denn das gehört?« Sie setzten sich zu gleicher Zeit in Bewegung und gingen langsam in Richtung 26. Straße, fanden so schnell und mühelos in einen gemeinsamen Rhythmus, als wären ihre Schritte im voraus geplant gewesen. Rund um sie herum wogte eine gleichgültige Menge von Polizisten, Zuhältern und Drogenhändlern.
»So was spricht sich herum, Herr Rechtsanwalt«, erwiderte sie, selbst überrascht festzustellen, daß sie tatsächlich neugierig war, vielleicht sogar ein wenig eifersüchtig. Sie hatte nie damit gerechnet, daß er sich ernsthaft für eine andere Frau interessieren würde. Don
war schließlich ihr Rückhalt, der Mann, der, wie sie glaubte, immer für sie dasein würde. »Und wie heißt sie? Was ist sie für ein Mensch?«
»Sie heißt Trish«, antwortete er unbefangen. »Sie ist sehr intelligent, sehr hübsch, hat sehr kurzes, sehr blondes Haar und ein sehr verführerisches Lachen.«
»Das sind aber viele sehr auf einmal.«
Don lachte, ohne mehr zu verraten.
»Ist sie Anwältin?«
»Da sei Gott vor.« Er schwieg einen Moment. »Und wie geht’s dir? Gibt es einen Mann in deinem Leben?«
»Nur Fred«, antwortete sie, dann schlang sie den letzten Rest ihres Hot Dogs hinunter und zerknüllte das Papier in ihrer Hand.
»Du mit deinem verrückten Kanarienvogel!« Sie hatten die Straßenecke erreicht, warteten, während die Ampel von Rot auf Grün schaltete. »Ich muß dir ein Geständnis machen«, sagte er, während er ihren Ellbogen nahm und sie über die Straße führte.
»Du heiratest?« fragte sie hastig, obwohl sie diese Frage gar nicht hatte stellen wollen.
»Nein«, antwortete er leichthin, aber seine Stimme verriet ihn. Sie hatte Untertöne, die so beunruhigend waren wie eine gefährliche Unterströmung unter einem trügerisch glatten Wasserspiegel. »Es handelt sich um Rick Ferguson.«
Jess blieb mitten auf der Straße stehen, und das zusammengeknüllte Einwickelpapier fiel ihr aus der Hand. »Was?«
»Komm weiter, Jess«, drängte Don und zog sie mit sich. »Sonst werden wir hier noch überfahren.«
Sobald sie den Bürgersteig auf der anderen Straße erreicht hatten, blieb sie erneut stehen. »Was weißt du von Rick Ferguson?«
»Ich vertrete ihn.«
»Was?«
»Es ist kein Zufall, daß wir uns heute hier getroffen haben, Jess«,
gestand Don einigermaßen verlegen. »Ich hab in deinem Büro angerufen. Man sagte mir, du seist bei Gericht.«
»Seit wann vertrittst du Rick Ferguson?«
»Seit vergangener Woche.«
»Ich kann’s nicht fassen. Warum?«
»Warum? Weil er mich beauftragt hat. Was ist das für eine Frage?«
»Rick Ferguson ist schlimmer als ein Stück Vieh. Ich kann nicht glauben, daß du dich dazu hergibst, ihn zu vertreten.«
»Jess«, sagte Don geduldig, »ich bin Strafverteidiger. Es ist mein Beruf.«
Jess nickte. Es stimmte, daß ihr geschiedener Mann sich mit der Verteidigung solcher Leute eine lukrative Praxis aufgebaut hatte, aber sie würde nie verstehen, wie ein so gütiger und rücksichtsvoller Mensch ausgerechnet für die Rechte jener eintreten konnte, denen Güte und Rücksichtnahme nichts bedeuteten; wie er seine scharfe Intelligenz ausgerechnet für jene einsetzen konnte, die glaubten, die Intelligenz mit Füßen treten zu können.
Sie wußte natürlich, daß die Randgruppen der Gesellschaft Don immer schon fasziniert hatten, doch in den Jahren seit ihrer Scheidung hatte sich diese Faszination wesentlich verstärkt. Immer häufiger übernahm er die scheinbar aussichtslosen Fälle, vor denen andere Anwälte zurückschreckten. Und gewann diese Prozesse meistens, wie sie unter anderem auch aus eigener Erfahrung wußte. Zweimal hatten sie sich in den letzten vier Jahren vor Gericht
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