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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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mühsam in die Höhe und tappte ins Schlafzimmer zurück. Schwankend auf der Bettkante sitzend, griff sie zum Telefon und hielt plötzlich inne. Sie wußte, daß sie Don nur anzurufen brauchte. Er würde alles stehen- und liegenlassen, ohne Rücksicht darauf, was er gerade tat, mit wem er gerade zusammen war, und zu ihr eilen, bei ihr bleiben, solange sie ihn brauchte. Sie wußte, daß Don sie immer noch liebte, nie aufgehört hatte, sie zu lieben. Das wußte sie, und darum konnte sie ihn nicht anrufen.

    Er hatte jetzt eine ernstzunehmende Beziehung zu einer anderen Frau. Trish, wiederholte sie sich und dachte über den Namen nach. Wahrscheinlich eine Abkürzung von Patricia. Trish mit dem verführerischen Lachen. Dem sehr verführerischen Lachen, wie er gesagt hatte. Sie erinnerte sich an das Aufblitzen des Stolzes in seinen Augen. Hatte die Vorstellung, Don möglicherweise an eine andere zu verlieren, ausgereicht, um diesen Angstanfall auszulösen?
    Die Attacke war vorbei, merkte sie plötzlich überrascht. Ihr Herz hatte sich beruhigt; ihr Atem ging wieder normal; der Schweiß auf ihrem Körper trocknete. Sie ließ sich dankbar in ihr Kissen zurücksinken und genoß das Gefühl neuen Wohlbefindens. Erstaunt entdeckte sie, daß sie hungrig war.
    Sie ging durch den dunklen Flur in die Küche direkt zum Tiefkühlschrank. Sie machte ihn auf und schreckte vor dem plötzlich aufflammenden Licht zurück, nahm dann einen Karton mit gefrorenen Pizzas heraus, riß hastig die Zellophanverpackung einer davon auf und schob das steife Ding in den Mikrowellenherd. Sie drückte die notwendigen Knöpfe und lauschte dem leisen Summen der Mikrowellen, während sie darauf achtete, sich nicht direkt vor den Herd zu stellen.
    Don hatte ihr das ans Herz gelegt. Aber das ist doch bestimmt nicht gefährlich, hatte sie widersprochen. Warum ein Risiko eingehen? hatte er augenblicklich gekontert, und sie hatte sich gesagt, daß er wahrscheinlich recht hatte, und sich seine Vorsicht zu eigen gemacht. Man konnte ja nie wissen, was für bösartige Strahlen in der Luft herumschwirrten und darauf warteten, einen anzugreifen.
    Jess behielt die Uhr am Herd im Auge, die eine Sekunde nach der anderen heruntertickte, und stellte sich dann trotzig direkt vor das Gerät. »Na kommt doch und holt mich«, rief sie und lachte beinahe übermütig. Verrückt, verrückt, da stand sie um drei Uhr morgens in ihrer winzigen Küche und forderte die Mikrowellen zum Kampf.
    Die Uhr piepte fünfmal zum Zeichen, daß die Pizza fertig war.
Jess nahm das inzwischen heiße Stück vorsichtig heraus und trug es hinüber in den großen Wohnraum. Sie liebte ihre Wohnung, war von dem Moment an, als sie sie zum ersten Mal betreten hatte, von ihr hingerissen gewesen. Sie war alt und voller unerwarteter Ecken und Nischen. Das Erkerfenster im Westen blickte auf die Orchard Street hinunter, ganz nah dem Haus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, und weit, weit entfernt von der modernen Luxuswohnung am Lake Shore Drive, die sie mit Don geteilt hatte.
    Das Alleinsein fiel ihr oft schwer; niemanden zu haben, mit dem sie reden, an den sie sich ab und zu anlehnen, bei dem sie sich am Ende des Tages ausruhen konnte. Es war schön gewesen, große Pläne, kleine Triumphe, unnötige Sorgen teilen zu können. Es hatte ihr ein Gefühl der Sicherheit gegeben, Teil eines Paares zu sein, Teil der Konstellation JessundDon.
    Jess schaltete die Stereoanlage ein, die an der Wand gegenüber dem alten Plüschsofa stand, das sie in einem Second-Hand-Laden in der Armitage Avenue entdeckt hatte, und ließ sich von den Klängen von Cesar Francks Konzert für Geige und Klavier berauschen. Neben ihr begann der Kanarienvogel, dessen Käfig sie für die Nacht zugedeckt hatte, zu singen. Jess ließ sich tiefer in die weichen Polster ihres Plüschsofas sinken und aß, während sie den süßen Klängen lauschte, im Dunklen ihre Pizza.
     
    »Meine Damen und Herren Geschworenen, sind Sie zu einem Urteil gekommen?« fragte der Richter.
    Eine Welle der Erregung überschwemmte Jess. Fast vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit sie ihr Schlußplädoyer gehalten hatte. Die Geschworenen hatten sich beinahe acht Stunden beraten, ehe sie festgestellt hatten, daß eine Einigung so bald nicht zu erwarten war. Richter Harris hatte sie ungeduldig für die Nacht in ein Hotel eingewiesen, nachdem er sie streng ermahnt hatte, mit keinem Außenstehenden über den Fall zu sprechen. Heute morgen
um neun Uhr hatten sie

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