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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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ging aus, als sie den Schlüssel ins Schloß schob. Sobald sie drinnen war und die Tür geschlossen hatte, verdrängte der fröhlichere Gesang ihres Kanarienvogels das Klagelied des Saxophons.
    »Hallo, Fred«, rief sie. Sie ging gleich zum Käfig und drückte ihr Gesicht an die dünnen Metallstangen. Als besuchte man einen Freund im Gefängnis, dachte sie. Hinter ihr spielte das Radio, das sie am Morgen eingeschaltet gelassen hatte, ein altes Tom Jones-Lied. »Why, why, why, Delilah...?« sang sie mit ihm, als sie zur Küche ging.
    »Tut mir leid, daß ich so spät komme, Freddy. Aber glaub mir, du kannst froh sein, daß du zu Hause geblieben bist.« Jess öffnete den Tiefkühlschrank und nahm einen Vanillekuchen im Karton heraus. Sie schnitt sich ein breites Stück herunter und stellte den Karton wieder zurück. Den Kuchen hatte sie schon zur Hälfte gegessen, als sie die Tür zuschlug. »Mein Schwager war in Hochform, und ich bin ihm wieder mal auf den Leim gegangen«, erzählte Jess auf dem Rückweg ins Wohnzimmer. »Mein Vater hat sich verliebt, und ich
kann mich einfach nicht für ihn freuen. Draußen fängt’s jetzt an zu schneien, und aus irgendeinem Grund nehm ich das als persönliche Beleidigung. Ich glaub, ich kriege einen Nervenzusammenbruch.« Sie schluckte den Rest des Kuchens hinunter. »Was meinst du, Fred? Glaubst du, daß ich langsam verrückt werde?«
    Der Kanarienvogel flatterte zwischen seinen Stangen hin und her, ohne auf sie zu achten.
    »Ganz recht«, sagte Jess. Sie ging zum großen Fenster und sah zur Orchard Street hinunter.
    Direkt gegenüber stand ein weißer Chrysler auf der Straße. Jess fuhr vom Fenster zurück und drückte sich an die Wand. Schon wieder ein weißer Chrysler. Hatte der schon dagestanden, als sie nach Hause gekommen war?
    »Mach dich nicht lächerlich«, sagte sie, um ihr lautes Herzklopfen zu übertönen, während der Kanarienvogel eine neue Strophe begann. »Hier in der Stadt gibt’s bestimmt eine Million weiße Chrysler.« Wenn im Laufe eines einzigen Tages einer sie beinahe überfahren hatte, ein zweiter beinahe ihren Wagen gerammt hatte und ein dritter jetzt draußen vor ihrem Haus auf der Straße stand, so konnte das noch immer reiner Zufall sein. Klar, und es schneit niemals vor Allerheiligen, dachte sie und hielt sich vor, daß sie nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob der Wagen, der in Evanston beinahe mit ihr zusammengestoßen wäre, wirklich ein Chrysler gewesen war.
    Vorsichtig näherte sie sich wieder dem Fenster und spähte hinter dem Vorhang verborgen hinaus. Der weiße Chrysler stand immer noch da. Ein Mann saß reglos am Steuer. Sein Gesicht war im Schatten. Sie konnte ihn nur im Profil sehen. Er blickte geradeaus durch die Windschutzscheibe. Dunkelheit und Regen warfen einen Schleier über seine Gesichtszüge.
    »Rick Ferguson?« fragte sie laut.
    Der Klang seines Namens von ihren Lippen erschreckte Jess. Sie
rannte aus dem Wohnzimmer durch den Flur in ihr Schlafzimmer. Sie riß die Schranktür auf, fiel auf die Knie und wühlte in ihren Schuhen, von denen viele noch im Originalkarton waren. »Wo, zum Teufel, hab ich das Ding hingetan?« schimpfte sie, sprang auf und streckte sich nach dem obersten Bord, auf dem auch noch Schuhe standen, alte Lieblingsschuhe, die augenblicklich nicht in Mode waren, von denen sie sich aber nicht trennen konnte. »Wo, zum Teufel, hab ich die verdammte Knarre versteckt?«
    Sie fegte die Kartons mit einer einzigen großen Bewegung vom Bord und hielt schützend beide Hände über ihren Kopf, als es Schuhe zu regnen begann. »Wo ist sie?« rief sie und entdeckte dann etwas Glänzendes, Schwarzes unter zerknülltem weißen Seidenpapier.
    Schwarze Lacklederpumps, stellte sie fest und fragte sich, wie sie auf die Schnapsidee gekommen war, sich Schuhe mit zehn Zentimeter hohen Absätzen zu kaufen. Sie hatte die Dinger genau ein Mal getragen.
    Sie entdeckte den kleinen stupsnasigen Revolver schließlich unter den großen Stoffblumen, die ein Paar grauer Pumps zierten. Die Patronen steckten in den Schuhspitzen. Mit zitternden Händen steckte Jess sechs Patronen in die Trommel des Smith & Wesson Kaliber.38, den Don ihr aufgedrängt hatte, als sie sich ihre eigene Wohnung genommen hatte. »Nenn es mein Scheidungsgeschenk«, hatte er gesagt und sich auf keine weitere Diskussion eingelassen.
    Vier Jahre hatte die Waffe in der Schuhschachtel gelegen. Funktionierte sie überhaupt noch? Oder gab es bei Waffen genau wie bei

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