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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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in sich aufsteigen wie eine drohende Flut. »Bitte hilf mir«, rief sie wieder. »Hilf mir doch.« Sie starrte in den Spiegel gegenüber vom Bett. Ein kleines verängstigtes Mädchen starrte zurück. »Bitte hilf mir, Mami«, jammerte das kleine Mädchen. »Versprich mir, daß mir nichts passiert.«
    »O Gott«, stöhnte Jess. Sie krümmte sich so tief, daß sie mit der
Stirn ihre Knie berührte. »Was ist nur los mit mir? Was ist nur mit mir?«
    Wieder begann das Telefon zu läuten. Einmal... zweimal... dreimal.
    Mit einer Anstrengung richtete Jess sich auf. Immer noch läutete das Telefon. Viermal... fünfmal. Mit eisernem Willen schob sie ihre Hand zum Telefon, beobachtete sie, als gehörte sie jemand anders, wie sie den Hörer an ihr Ohr führte.
    »Hallo, Jess? Jess, bist du da?«
    »Maureen?« flüsterte Jess verzweifelt.
    »Jess, wo bleibst du denn? Was tust du noch zu Hause? Du müßtest längst hier sein.« Maureens Stimme klang ungeduldig.
    »Wie spät ist es denn?«
    »Es ist fast acht. Wir warten seit sieben Uhr. Wir sind alle völlig ausgehungert. Außerdem machen wir uns Riesensorgen um dich. Ich rufe seit einer halben Stunde unentwegt an. Was ist denn nur los? Du kommst doch sonst nie zu spät.«
    »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, log Jess, die ihre Beine immer noch nicht fühlen konnte.
    »Ja los, dann komm endlich her.«
    »Ich kann nicht«, antwortete Jess.
    »Was?«
    »Bitte, Maureen, ich kann nicht. Es geht mir nicht gut.«
    »Jess, du hast es versprochen.«
    »Ich weiß, aber...«
    »Kein aber!«
    »Ich kann nicht. Wirklich nicht.«
    »Jess...«
    »Bitte sag Dad, es tut mir wirklich leid, aber wir müssen das Treffen verschieben.«
    »Das kannst du doch nicht machen, Jess.«
    »Ehrlich, Maureen, ich glaube, ich brüte irgendwas aus.«

    Sie konnte hören, daß ihre Schwester weinte.
    »Wein doch nicht, Maureen. Bitte. Ich hab das doch nicht geplant. Ich hab mir schon meine Sachen alle zurechtgelegt. Aber ich schaff es einfach nicht.«
    Eine Sekunde blieb es still. »Na schön, mach was du willst«, sagte ihre Schwester. Und legte auf.
    »Mist!« schrie Jess und knallte den Hörer auf die Gabel. Die lähmende Lethargie war plötzlich verschwunden. Sie sprang auf. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Was machte sie eigentlich mit sich selbst? Und mit ihrer Familie?
    Haßte sie es nicht, wenn die Leute sich verspäteten? Achtete sie nicht immer darauf, pünktlich zu sein? Kam sie zu einer Verabredung nicht immer als erste? Acht Uhr, du lieber Gott! Anderthalb Stunden hatte sie da auf dem Bett gehockt. Nackt auf ihrem Bett gesessen, ihre Kleider neben sich, unfähig, sie anzuziehen, unfähig, eine Bewegung zu machen.
    Anderthalb Stunden. Der schlimmste Anfall bisher. Der längste. Wie sollte das denn werden, wenn so etwas im Gerichtssaal passierte, so ein Anfall sie bei einem wichtigen Kreuzverhör lähmte? Was würde sie dann tun?
    Sie konnte dieses Risiko nicht eingehen. Sie durfte so etwas nicht geschehen lassen. Sie mußte etwas unternehmen. Sie mußte sofort etwas unternehmen.
    Jess ging zu ihrem Schrank, holte ihre lange schwarze Hose heraus und griff in sämtliche Taschen. Sie fand den Zettel, auf dem ihre Schwester ihr die Telefonnummer ihrer Freundin Stephanie Banack aufgeschrieben hatte.
    »Stephanie Banack«, las Jess laut und fragte sich, ob die Therapeutin ihr überhaupt helfen konnte. »Ruf sie an, dann wirst du’s schon merken.«
    Jess tippte die Nummer ein, und erst da fiel ihr plötzlich ein, wie spät es schon war. Sie würde wahrscheinlich nur den Anrufbeantworter
erwischen. Während sie noch überlegte, ob sie eine Nachricht hinterlassen sollte oder nicht, wurde bereits abgehoben.
    »Stephanie Banack.« Die Stimme klang angenehm.
    Jess war verwirrt. »Oh, Entschuldigung, ist das ein Band?«
    Stephanie Banack lachte. »Nein, das bin ich live. Was kann ich für Sie tun?«
    »Hier spricht Jess Koster«, sagte Jess. »Maureens Schwester.«
    Eine Sekunde blieb es still. Dann sagte Stephanie Banack: »Hallo, Jess, wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?«
    »Maureen geht es gut, falls du das meinen solltest. Es geht um mich«, fügte sie hastig hinzu, weil sie fürchtete, sie würde überhaupt nicht weitersprechen, wenn sie jetzt zögerte. »Ich wollte dich fragen, ob ich mal zu einem Gespräch zu dir kommen kann - möglichst bald. Natürlich nur, wenn du Zeit hast.«
    »Oh, die Zeit nehme ich mir«, antwortete die Therapeutin. »Paßt es dir morgen mittag?«
    Jess

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