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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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abend fertigmachen? Es ist doch nur ein Scheibenwischer!« Jetzt mußte sie die Hochbahn nach Hause nehmen, eine unangenehme, lange Fahrt, es würde bestimmt voll sein, und sie würde keinen Sitzplatz bekommen. Außerdem würde sie sich abhetzen müssen, um pünktlich um sieben im Restaurant zu sein.
    Ich könnte ja ein Taxi nehmen, dachte sie, obwohl sie wußte, daß nirgends in der Gegend ein Taxi zu finden sein würde. Die Fahrer haßten es, auch nur in die Nähe der Gegend um die 26. Straße und die California Avenue zu kommen, ganz besonders nach Einbruch der Dunkelheit. Sie hätte natürlich von ihrem Büro aus ein Taxi anrufen können, aber das wäre zu einfach gewesen. Oder sie hätte Don anrufen können. Nein, das würde sie niemals tun. Sie war ihm böse, ja, sie war wütend auf ihn. Weshalb? Weil er objektiv war? Weil er glaubte, Rick Ferguson könnte unschuldig sein? Weil er es ablehnte, über seinen Gefühlen für sie die Rechte seines Mandanten zu vergessen? Weil er ein derart guter Anwalt war? Ja, das alles waren Gründe, gestand sie sich ein.
    Es ist also gar nicht alles in Ordnung mit mir, dachte sie, als der Aufzug im dritten Stock anhielt und mehrere große Schwarze mit
bunten Wollmützen hereinkamen. Sie war frustriert und verdrossen und wütend. »Scheiße«, murmelte einer der Schwarzen, als sich die Aufzugtür im Erdgeschoß öffnete.
    Du sprichst mir aus der Seele, dachte Jess und schob ihre Handtasche unter ihren Mantel, als sie durch das Foyer zur Drehtür eilte.
    Draußen war es sehr kalt. Die Meteorologen hatten einen ungewöhnlich kalten November vorausgesagt, und bisher hatten sie recht gehabt. Für Dezember hatten sie große Schneemengen angekündigt. Und Jess hatte noch immer keine neuen Winterstiefel gekauft.
    Sie ging zur Bushaltestelle an der Ecke und war einen Moment überwältigt von dem, was die Dunkelheit nicht verbergen konnte: die Stadtstreicherinnen, die ihr gesamtes Hab und Gut zum Schutz gegen die Kälte auf dem Leib trugen; die Verrückten, die mit unsichtbaren Dämonen kämpften, mit Flaschen in den Händen und ohne Schuhe an den Füßen ziellos herumstreunten; die jungen Leute, die so vollgepumpt waren mit Drogen, daß sie weder die Energie noch die Neigung besaßen, sich die Nadeln aus den dürren Armen zu ziehen; die Zuhälter; die Prostituierten; die Dealer; die Desillusionierten. Das alles war hier, wie Jess wußte, und breitete sich von Jahr zu Jahr weiter aus. Als sähe man einer Krebsgeschwulst beim Wachsen zu, dachte sie.
    Sie fuhr mit dem Bus bis zur 8. Straße, nahm dort die U-Bahn zur State Street, stieg in die Hochbahn um, alles ganz ruhig und selbstverständlich. Ich wollte, Don könnte mich jetzt sehen, dachte sie und hätte beinahe gelacht. Er hätte getobt. »Bist du denn total übergeschnappt?« konnte sie ihn brüllen hören. »Weißt du nicht, wie gefährlich die Hochbahn ist, besonders abends? Was willst du eigentlich beweisen?«
    Ich will nur nach Hause, antwortete sie lautlos. Sie war nicht bereit, sich von jemandem einschüchtern zu lassen, der nicht da war.
    Auf dem Bahnsteig der Hochbahn war es laut, schmutzig, und es wimmelte von Menschen. Ein junger Mann rammte Jess von hinten,
entschuldigte sich nicht einmal, als er an ihr vorbeieilte. Eine ältere Frau trat ihr auf den Fuß, als sie sich an ihr vorbei nach vorn schob, und sah sie dann so wütend an, als müsse sich Jess bei ihr entschuldigen. Schwarze Gesichter, braune Gesichter, weiße Gesichter. Kalte Gesichter, dachte Jess und sah sie alle in Eisblau. Fröstelnde Menschen in der Dunkelheit. Jeder mit ein wenig Angst vor dem anderen. Als sähe man einer Krebsgeschwulst beim Wachsen zu, dachte sie wieder und sah plötzlich das Gesicht ihrer Mutter in einem der vorderen Fenster des einfahrenden Zugs.
    Der Zug hielt an, und Jess wurde von der Menge zu den Türen gestoßen. Sie war sich kaum bewußt, daß ihre Füße den Boden berührten. Im nächsten Augenblick wurde sie wie von einer Welle hochgetragen und landete auf einer zerschlissenen Kunstlederbank, eingequetscht zwischen einem großen Schwarzen auf ihrer rechten und einer alten Mexikanerin mit einer großen Einkaufstasche am Arm auf ihrer linken Seite. Auf der anderen Seite des Ganges voller Menschen saß eine Filipina, die sich krampfhaft bemühte, ein zappelndes Kind auf ihrem Schoß festzuhalten. Eine Pfeife schrillte. Der Zug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, fuhr weiter. Körper schwankten im Rhythmus mit der Bewegung des

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