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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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Zugs. Wintermäntel versperrten Jess wie dichte Vorhänge die Sicht. Warmer Atem erhitzte die Luft rund um sie herum.
    Jess schloß die Augen, sah sich als kleines Mädchen, das fest die Hand der Mutter umklammert hielt, während sie auf einem Bahnsteig standen und auf die Hochbahn warteten. »Es ist doch nur ein Zug, Schatz«, hatte ihre Mutter gesagt und die verängstigte Kleine in die Arme genommen, als der Zug donnernd angefahren kam. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
    Wo war ich, als du Angst hattest? fragte sich Jess jetzt. Wo war ich, als du mich gebraucht hast?
    »Das muß ich mir von dir nicht gefallen lassen, Jess!« hörte sie ihre Mutter weinend rufen, ihr schönes Gesicht tränenüberströmt.

    Der Zug hielt mit quietschenden Bremsen an. Jess ließ ihre Augen weiter geschlossen, hörte, wie sich die Türen öffneten, spürte den Wechsel der Passagiere, den Druck von noch mehr Menschen an ihren Knien. Wieder schrillte die Pfeife. Die Türen schlossen sich. Langsam fuhr der Zug an und legte Geschwindigkeit zu. Jess hielt die Augen geschlossen, während der Zug durch die Stadtmitte raste.
    Sie erinnerte sich des Tages, an dem ihre Mutter verschwunden war.
    Es war sehr heiß gewesen, selbst für August, schon vor zehn Uhr morgens fast dreißig Grad. Jess war in Shorts und einem alten T-Shirt in die Küche hinuntergekommen. Ihr Vater war auf Geschäftsreise; Maureen in der Bibliothek, um sich auf ihre Rückkehr nach Harvard vorzubereiten. Ihre Mutter stand am Telefon in der Küche. Sie trug ein Kostüm aus weißem Leinen, war sorgfältig geschminkt und frisiert, das Haar aus dem Gesicht gebürstet. Sie wollte offensichtlich ausgehen.
    »Wohin gehst du?« hatte Jess gefragt.
    Die Stimme ihrer Mutter klang leicht gereizt. »Nirgends«, antwortete sie.
    »Seit wann machst du dich so schick, wenn du nirgends hin willst?«
    Die Worte wiederholten sich im Rattern des Zuges. Seit wann machst du dich so schick, wenn du nirgends hin willst? Seit wann machst du dich so schick, wenn du nirgends hin willst? Seit wann machst du dich so schick, wenn du nirgends hin willst?
    Der Zug ruckte und schlingerte, und jemand fiel über Jess’ Knie. Sie öffnete die Augen und sah eine ältere Schwarze, die sich bemühte, wieder auf die Beine zu kommen.
    »Entschuldigen Sie vielmals«, sagte die Frau.
    »Das macht doch nichts«, sagte Jess und gab ihr die Hand, um sie zu stützen, wollte aufstehen und ihr ihren Platz anbieten.
    Da sah sie ihn.

    »Mein Gott!«
    »Hab ich Ihnen weh getan?« fragte die alte Frau. »Das tut mir wirklich leid. Der plötzliche Ruck vorhin hat mich einfach umgeworfen. Bin ich Ihnen auf den Fuß gestiegen?«
    »Nein nein, es ist nichts«, flüsterte Jess. Sie brachte die Worte nur mit Mühe hervor und starrte an der Frau vorbei den höhnisch grinsenden jungen Mann an, der sich mit hängenden Armen störrisch weigerte, sich irgendwo festzuhalten, und nur ein paar Schritte hinter ihr stand, gestützt und aufrechtgehalten von seinem trotzigen Widerstand.
    Rick Ferguson starrte zurück. Dann verschwand er hinter einer Woge von Leibern.
    Vielleicht hatte sie ihn überhaupt nicht gesehen. Sie sah sich suchend in dem überfüllten Waggon um, um ihn wiederzufinden. Sie fühlte sich an das Erlebnis mit dem weißen Chrysler vor ihrer Haustür erinnert. Vielleicht hatte sie überhaupt nichts gesehen. Vielleicht spielte ihre Phantasie ihr grausame Streiche. Vielleicht aber auch nicht.
    Ganz bestimmt nicht, sagte sich Jess; sie war es leid, so zu tun, als wäre Täuschung, was sie wußte. Sie stand auf. Sofort wurde ihr Platz von jemand anderem eingenommen. Sie drängte sich zur anderen Seite des Waggons durch.
    Er stand mit dem Rücken an der Tür. Er hatte Blue Jeans und die braune Lederjacke an, die er an jenem Morgen bei Gericht getragen hatte. Das lange, schmutzig-blonde Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, der Blick seiner stumpfen braunen Augen barg seine ganze Vergangenheit in sich: das zerrüttete Zuhause, den prügelnden Vater, die trunksüchtige Mutter, die vernichtende Armut, die häufigen Zusammenstöße mit dem Gesetz, die Aufeinanderfolge zermürbender Fabrikjobs, die häufigen Entlassungen, die Kette mißlungener Beziehungen zu Frauen, die Wut, die Bitterkeit, die Verachtung. Und immer dieses Lächeln, schmallippig, freudlos, falsch.

    »Entschuldigen Sie«, sagte Jess zu einem schmächtigen Mann, der ihr den Weg versperrte, und der Mann machte ihr augenblicklich Platz. Rick Fergusons Lächeln

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