Schau Dich Nicht Um
junge Mann philosophisch, und Jess nickte, obwohl ihr das in diesem Fall schwerfiel. »Pfui Teufel, wie riecht’s denn hier?« sagte er, als sie in der dritten Etage ausstiegen. »Das stinkt ja fürchterlich.«
Jess schnitt eine Grimasse. Der unangenehme Geruch verursachte ihr Brechreiz. Sie drückte die Hand auf den Mund und deutete mit der anderen an, wo ihr Wagen stand.
»Mann, das wird ja immer schlimmer.«
Sie bogen um die Ecke.
»Um Gottes willen!« rief der junge Mann und zog automatisch seine Pistole.
»Es ist niemand hier.« Jess war selbst überrascht, wie ruhig ihre Stimme klang. Sie starrte ihr Auto an. »Er ist längst weg.«
»Sagen Sie mir bloß nicht, daß das Ihr Wagen ist«, sagte der junge Mann, obwohl Jess sicher war, daß er die Antwort bereits wußte. »Mann, der Kerl, der das gemacht hat, muß ja total krank sein.«
Immer noch starrte Jess ihren Mustang an, der erst an diesem Morgen frisch gewaschen und so gut wie neu aus der Werkstatt gekommen war. Jetzt waren sämtliche Fenster mit Kot verschmiert, die Scheibenwischer waren abgebrochen und verbogen. Jess würgte, drückte beide Hände auf Mund und Nase und wandte sich ab.
Der Mann aus dem Sheriffsamt war schon an seinem Walkie-Talkie, um Hilfe anzufordern. Jess kehrte zum Aufzug zurück und ließ sich neben ihm auf den Betonboden sinken.
»Scheiße«, murmelte sie, fand die Wahl des Wortes ausgesprochen passend und begann hilflos zu lachen. Sie konnte lachen oder weinen, ganz wie sie wollte.
Sie beschloß, sich das Weinen für später aufzuheben.
12
W alter! Walter, Herrgott noch mal, du hast schon wieder verdessen, die Haustür abzuschließen!« Jess trommelte mit Wucht an die Wohnungstür im ersten Stock ihres Hauses und fragte sich, ob Walter sie bei Miles Davis’ Trompete überhaupt hören würde.
»Immer mit der Ruhe, ich komm ja schon«, rief die tiefe maskuline Stimme von drinnen. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür, und der kurzbeinige, rundliche Systemanalytiker, der unter ihr wohnte, stand vor ihr. Er hatte einen grünseidenen Morgenrock an und hielt ein Glas Rotwein in der Hand. Mit einem raschen Blick musterte er sie von Kopf bis Fuß. »Jess, du bist wunderschön. Und du bist hysterisch. Komm doch auf ein Glas rein.«
»Nein, ich möchte dich nur bitten, in Zukunft darauf zu achten, daß die Haustür immer abgeschlossen ist«, sagte Jess, die für ein geselliges Glas Wein jetzt nicht in Stimmung war.
»Ach, hab ich wieder vergessen abzuschließen?« Walter Fraser gab sich betont nonchalant. »Weißt du, ich hab meine Einkäufe reingetragen und mußte dauernd hin und her laufen. Da war es einfacher, die Tür einfach offenzulassen.«
»Ja, einfacher und viel gefährlicher.«
»Du hast wohl einen harten Tag gehabt, hm?« fragte Walter.
»Schließ in Zukunft einfach ab«, sagte Jess noch einmal, schon auf dem Weg zur Treppe, die zu ihrer Wohnung hinaufführte.
Das Telefon begann zu läuten, sobald sie die Tür öffnete. Was nun? Sie stieß an den Vogelkäfig, als sie in die Küche lief, und der Kanarienvogel zwitscherte erschrocken.
»Tut mir leid, Fred«, rief sie und griff schon nach dem Telefonhörer. »Hallo!« rief sie laut.
»Oha! Da hat wohl jemand schlechte Laune.«
»Don, bist du das?«
»In der Kanzlei hat man mir gesagt, daß du angerufen hast. Irgendwas nicht in Ordnung?«
»Nichts, was nicht wieder in Ordnung kommt, wenn dein Mandant auf dem elektrischen Stuhl landet.«
»Ich vermute, du sprichst von Rick Ferguson«, sagte Don.
»Du vermutest richtig. Möchtest du hören, was heute passiert ist? Erst erscheint dein Mandant bei mir im Gerichtssaal, und ein paar Stunden später finde ich meinen Wagen, den ich gerade erst für mehr als vierhundert Dollar hab reparieren lassen, total mit Scheiße verschmiert wieder. Was würdest du denn da vermuten?«
»Moment mal. Du sagst, dein Wagen war buchstäblich mit -«
»Kot, ja, wahrscheinlich menschlichem Kot verschmiert. Jedenfalls hält die Polizei es dafür. Sie haben Proben genommen, um sie analysieren zu lassen, und versuchen Fingerabdrücke zu sichern. Ich glaube allerdings nicht, daß dabei viel herauskommen wird. Ich bin sicher, daß da mit Gummihandschuhen gearbeitet worden ist.«
»Das ist ja unglaublich«, murmelte Don.
»Sag du nur deinem Mandanten, wenn er sich noch ein einziges Mal in meinem Gerichtssaal blicken läßt, laß ich ihn verhaften. Es ist mir ganz egal, wofür.«
»Ich habe ihn bereits ermahnt, dich in Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher