Schau Dich Nicht Um
der vorgefaßten Absicht verübt wurde, ein Menschenleben zu vernichten, und das Verhalten des Angeklagten zu der berechtigten Erwartung Anlaß gab, daß daraus der Tod eines Menschen erfolgt.‹ So lautet die Definition des vorsätzlichen Mordes.
Die Verteidigung möchte Sie glauben machen, daß Terry Wales, von seiner Frau seiner Männlichkeit beraubt und dennoch außer sich bei dem Gedanken, sie zu verlieren, ihr lediglich einen Schrekken einjagen wollte, als er mit der Armbrust auf ihr Herz zielte. Die Verteidigung möchte Sie glauben machen, daß er in Wirklichkeit auf ihr Bein zielte. Sie möchte Sie glauben machen, daß Terry Wales, der bereits ein gebrochener Mann war, ›ausgerastet ist‹, nachdem seine Frau ihn einmal zu oft verhöhnt hatte; daß er sie lediglich ein wenig aufrütteln wollte, als er mitten auf einer geschäftigen Straßenkreuzung diesen Pfeil auf sie abfeuerte; daß Terry Wales so sehr Opfer ist wie seine Frau.
Lassen Sie sich nicht täuschen, meine Damen und Herren. Nina Wales ist hier das Opfer. Und Nina Wales ist tot. Terry Wales ist quicklebendig.«
Jess riß ihren Blick von den Geschworenen los und ließ ihn zu den Menschen im Saal zurückkehren. Rick Ferguson sah ihr von seinem Sitzplatz in der vorletzten Reihe mit seinem kalten Lächeln ins Gesicht.
»Die Anklage wird beweisen«, erklärte Jess, sich wieder den Geschworenen zuwendend, »daß Terry Wales seine Frau regelmäßig geschlagen hat. Wir werden beweisen, daß er ihr mehr als einmal gedroht hat, sie zu töten, wenn sie je versuchen sollte, ihn zu verlassen. Wir werden beweisen, daß Terry Wales, nachdem Nina Wales
ihren ganzen Mut zusammengenommen hatte und mit ihren Kindern gegangen war, daß Terry Wales da im nächsten Sportgeschäft in seinem Viertel eine Armbrust kaufte. Wir werden beweisen, daß er diese Armbrust benutzt hat, um Nina Wales ins Herz zu schießen, als ob sie ein Stück Rotwild im Wald wäre. Was sie dabei erleiden mußte, darüber machte er sich keine Gedanken; sie sollte ja leiden. Von Mitgefühl kann hier keine Rede sein, meine Damen und Herren. Und auch nicht von einem Verbrechen aus Leidenschaft. Wir haben es mit einem Mord zu tun. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Mit vorsätzlichem Mord. Ich danke Ihnen.«
Jess sah die sieben Frauen und fünf Männer mit einem traurigen Lächeln an. Drei waren Schwarze, zwei waren spanischer Abstammung, einer asiatischer Herkunft, die übrigen waren Weiße. Die meisten waren in mittlerem Alter. Nur zwei waren noch in den Zwanzigern. Eine der Frauen war vielleicht sechzig. Alle sahen sie ernst und feierlich aus, bereit ihre Pflicht zu tun.
»Mr. Bristol«, sagte Richter Harris, als Jess an den Tisch der Anklage zurückkehrte.
Hal Bristol begann zu sprechen, noch ehe er aufgestanden war. Seine Stimme donnerte durch den Gerichtssaal und zwang die Geschworenen in ihre Gewalt.
»Meine Damen und Herren Geschworenen, Terry Wales ist kein Akademiker. Er ist Vertreter wie einige von Ihnen. Er verkauft Haushaltsgeräte. Er versteht sein Geschäft und verdient gut dabei. Reich ist er gewiß nicht. Aber er ist stolz.
Wie Sie mußte er in diesen Zeiten allgemeiner Rezession den Gürtel enger schnallen. Im Augenblick kaufen die Leute nicht. Man verzichtet auf größere Anschaffungen wie Haushaltsgeräte. Es werden nicht mehr so viele neue Häuser gebaut. Die Leute brauchen nicht mehr so viele neue Herde und Mikrowellengeräte. Die Provisionen schrumpfen. Wir leben in einer unsicheren Zeit. Es gibt nicht viel, worauf man sich verlassen kann.«
Jess setzte sich auf ihren Stuhl. Für diese Taktik also hatte sich die Verteidigung entschieden. Der Mörder, ein Mensch wie du und ich; ein Mensch, mit dem wir uns alle identifizieren können. Der Mörder, den wir verstehen können, weil wir in ihm uns selbst gespiegelt sehen. Der Mörder als Jedermann.
»Terry Wales glaubte, er könnte sich auf seine Frau verlassen. Als er sie vor elf Jahren heiratete, geschah dies unter der Bedingung, daß beide noch einige Jahre weiterarbeiten würden, ehe sie eine Familie gründeten. Aber Nina Wales hielt sich nicht an die Bedingung. Nach der Heirat wollte sie sofort Kinder haben. Sie wollte nicht warten. Sie versicherte ihm, daß sie weiterarbeiten würde. Sie habe keinerlei Absicht, ihre Stellung aufzugeben. Aber schon bald nach der Geburt des ersten Kindes hörte Nina Wales zu arbeiten auf. Sie wollte sich ganz ihren Mutterpflichten widmen, und wie hätte mein Mandant da
Weitere Kostenlose Bücher