Schau mir ins Herz
brauchte, mit jeder Faser nach ihm verlangte. Aber nicht so!, schoss es ihr verzweifelt durch den Kopf. Nicht mit diesem Nicolas, den ich nicht kenne. Nicht mit diesem Fremden, der sie zu überwältigen suchte. Ohne Liebe, ohne Einfühlsamkeit. Als sei es egal, wer sie war, Hauptsache, eine Frau.
Als er den Kuss beendete, fuhr Carol zurück. Worte, das wusste sie, waren ihre schärfste Waffe. „Hältst du so deine Versprechen?“, fragte sie beißend. Ihre eigene Stimme klang ihr fremd in den Ohren.
Nicolas’ Arme sanken schlaff herab. Er trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht lag im Schatten, und Carol konnte nur raten, was sich darin ausdrückte.
Als er schließlich sprach, war seine Stimme bar jeder Leidenschaft. „Ich sollte eine solche Erinnerung nicht brauchen“, sagte er ruhig. „Immerhin hast du deine Abneigung gegen mich hinreichend klargemacht. Ich bedaure, dass ich dich mit meinem Werben belästigt habe.“
„Werben?“, fragte Carol bitter. „Wie kannst du von einem Werben sprechen, wenn keinerlei Liebe zwischen uns ist?“
„Richtig“, entgegnete er tonlos. „Auch was das angeht, hätte ich eigentlich keiner Erinnerung bedurft. Aber du kannst beruhigt sein, es wird nie wieder passieren.“
Carol barg ihr Gesicht in ihren Händen. Sie wollte nicht weinen, nicht jetzt. Sie hörte Nicolas’ Schritte, das leise Klicken der Tür, als er sie öffnete und einen Moment später hinter sich schloss. Erst dann ließ sie die Hände sinken und starrte blicklos vor sich hin.
10. KAPITEL
Nach einer schlaflosen Nacht, in der sie sich verzweifelt gefragt hatte, wie sie Nicolas nach diesem schrecklichen Abend jemals wieder gegenübertreten sollte, atmete Carol auf, als sie am Morgen erfuhr, dass Nicolas nicht da war.
„Der barone ist fortgefahren“, informierte Anna sie, als sie nach unten kam. „Charles wollte heute früh das Auto waschen, aber es stand nicht in der Garage.“ Die Köchin sah sie vorwurfsvoll an. „Man hätte mir Bescheid sagen sollen.“
Carol versuchte zu antworten, ohne Anna zu verraten, dass sie nichts von Nicolas’ Vorhaben gewusst hatte. „Es war leider nicht vorhersehbar, dass der barone fortmusste“, erwiderte sie, doch die Köchin wirkte keineswegs besänftigt.
„Ich habe gestern den ganzen Nachmittag für seinen Geburtstag gebacken“, beschwerte sie sich. „Wenn man mir gesagt hätte, dass er nicht da ist …“
Bestürzt biss Carol sich auf die Lippe. Sie war Nicolas’ Frau, und sie wusste nicht einmal, wann er Geburtstag hatte. Es war nie ein Thema zwischen ihnen gewesen, und sie hatte ihn nicht danach gefragt. Sie lebten nebeneinander her wie Fremde.
Dem konnte sie keine Abhilfe schaffen, aber sie musste etwas tun, um Anna zu beschwichtigen.
„Ich habe eine Idee“, rief sie munter. „Wir geben eine Teeparty! Zur Feier des Tages, auch wenn der barone nicht da sein kann. Dann haben Sie sich die viele Mühe nicht umsonst gemacht.“
Es war ein Segen, sich mit etwas zu beschäftigen, worauf sie all ihre Energie richten konnte. So musste sie nicht daran denken, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, sich Nicolas hinzugeben, obwohl er nur körperliches Verlangen für sie empfand.
Wenn sie nicht daran zugrunde gehen wollte, musste sie die Leere in ihrem Leben irgendwie füllen. Sie stürzte sich in die Organisation der Teeparty, lud Jessa und ihre Schwestern ein, telefonierte mit Tante Lucia und bat sie, so viele von den Kunsthandwerkern mitzubringen, wie sie auftreiben konnte, ließ sich die Kuchen zeigen und überredete Anna, zwei weitere Bleche ihrer berühmten Biskuittörtchen zu backen. Sie schwatzte Cassar einige seiner prächtigsten Topfblumen und Stauden ab, um die beiden Salons des palazzo damit zu dekorieren.
Die Teeparty war ein Erfolg, und Carol beschloss, sie von nun an regelmäßig zu veranstalten. Der Donnerstagnachmittag wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis, und mehr und mehr Pächter und Arbeiter aus den Kunsthandwerksbetrieben stellten sich zu dem Anlass ein. Nachdem Anna sich von ihrer anfänglichen Überraschung erholt hatte, unterstützte sie Carols neues Projekt rückhaltlos und legte ihren ganzen Ehrgeiz in die Herstellung immer köstlicherer Kuchenkreationen.
Drei Tage nach der ersten Teeparty kam Nicolas zurück. Aber sein Verhalten Carol gegenüber war so steif, so reserviert und so förmlich, dass sie sich wünschte, er wäre fortgeblieben. Er sprach ihre Begegnung am Vorabend seines Geburtstages nicht an, doch es
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