Schau mir ins Herz
ist es angenehm kühl.“
Nicolas musterte sie prüfend. „Du bist sehr blass“, befand er, und die vorgetäuschte Besorgnis in seiner Stimme war Carol unerträglich. „Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?“
„Und wenn es nicht so wäre?“, fragte sie zurück und setzte lässig hinzu: „Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb es dich kümmern sollte.“
Sie gab vor, sich auf das Deckengemälde zu konzentrieren, sodass ihr der Ausdruck in Nicolas’ Augen genauso entging wie die Tatsache, dass er kurz die Zähne zusammenbiss.
„Du vergisst unsere wachsame Tante Lucia“, erwiderte er. „Wir dürfen nicht riskieren, dass sie mir vorwirft, ich würde dich nicht gut behandeln.“
Carol sah Nicolas an. „Wie könnte sie auf den Gedanken kommen? Ganz im Gegenteil, ich würde meinen, dass ich sehr gut behandelt werde.“ Du hast mich in diese Ehe gelockt, wollte sie eigentlich sagen. Du hast mich glauben lassen, dass du mich liebst. Dass wir miteinander glücklich werden können. Du hast mir ein Bild unserer Liebe gemalt, das so falsch war wie diese Kuppel dort oben.
Aber sie äußerte nichts davon. Stattdessen fuhr sie fort: „Ich darf mich als ausgesprochen wohlversorgt betrachten. Ich lebe in einem wunderschönen Haus mit einem herrlichen Garten, ich habe einen Ehemann, den ganz Gozo liebt und bewundert – was könnte ich mir darüber hinaus noch wünschen?“ Sie betete, dass ihre Miene nicht verriet, was sie wirklich dachte, und sah auf ihre Uhr.
„Du lieber Himmel, wie spät es ist!“ Sie lief los und rannte beinahe aus der Kathedrale und die breiten Steinstufen vor dem Eingang hinunter. Nicolas konnte ihr nicht folgen, selbst wenn er es gewollt hätte. Die große Doppeltür war noch von einer Busladung Schulkinder blockiert, als Carol bereits bei ihrem Wagen angelangt war.
Sie musste fort von hier und irgendetwas tun, um nicht über Dinge nachzugrübeln, die niemals sein würden. Sie beschloss, zu den Klippen von Ta Cenc zu fahren und den Geistern der Vergangenheit die Stirn bieten.
Am Ziel angekommen, parkte sie das Auto und ging zu Fuß bis zu den neolithischen Karrenspuren, die am äußersten Rand der Steilküste endeten. Jetzt, da die Wohnwagen der Filmcrew nicht mehr hier standen, war dies ein Ort von grandioser Wildheit, und er passte zu Carols Stimmung. Der Blumenteppich, der die Felder noch vor ein paar Wochen bedeckt hatte, war verschwunden, und die wenigen Pflanzen, die der Hitze standhielten, wirkten verdorrt und grau. Nur die dornigen Kaktusfeigen mit ihrer ledrigen Außenhaut sahen saftig und grün aus.
So gut bewehrt sollte mein Herz sein, dachte Carol und seufzte. Vielleicht würde es ihr mit der Zeit gelingen, ihr Herz zu panzern. Sie fragte sich, was am Ende schlimmer war – innerlich abgestorben zu sein oder einen solch schneidenden Schmerz zu ertragen wie den, als sie gesehen hatte, dass Nicolas eine andere Frau anlächelte.
Natürlich hatte er andere Frauen. Er war kein Mönch, sondern, wie sie nur allzu gut wusste, ein Mann, der die körperliche Liebe genoss. Und wenn er ihr Schlafzimmer mied, bedeutete das nicht, dass er es auch bei anderen Frauen tat.
Plötzlich bemerkte Carol, dass sie nicht allein auf den Klippen war. Auf einer der niedrigen Grenzmauern, die um die Felder verliefen, saß reglos eine Frau. Es war Rosaria, die Schneiderin, die ihr Hochzeitskleid angefertigt hatte.
„ Merhba – wie geht es Ihnen?“, fragte Carol und setzte sich neben sie.
Rosaria wandte ihr das Gesicht zu. Ihre Miene war kummervoll und ernst.
„Ich werde meinen Mann verlassen“, sagte sie tonlos.
Carol war so bestürzt, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte.
„Er hat eine andere“, fuhr Rosaria fort. „Gestern Nacht kam er um ein Uhr nach Hause und weigerte sich, mir zu erklären, wo er war. So kann man nicht leben.“
„Nein“, stimmte Carol zu. „So kann man nicht leben.“
„Wir sind sieben Jahre verheiratet“, fuhr die Schneiderin fort. „Wir haben drei Kinder. Wie kann er uns das antun?“ Ihre Stimme wurde brüchig, und sie begann, leise zu weinen.
Carol nahm ihre Hand. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen“, sagte sie mitfühlend.
Rosaria sah sie an. „Vielleicht können Sie das. Sprechen Sie mit dem barone.“ Sie umklammerte Carols Finger wie einen Rettungsanker. „Wenn er mit meinem Mann reden würde …“
Ihr Ton war so flehend, dass Carol nicht anders konnte, als ihr zu versichern, dass sie Nicolas das Problem
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