Schau mir ins Herz
Ehefrau spielst. Ich habe mir überlegt, was als Nächstes zu tun ist.“
Carol sah ihn erschrocken an. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie jetzt noch einmal ganz von vorne beginnen würden.
„Eines ist klar“, fuhr er mit steinerner Miene fort. „Du musst deine Freiheit zurückhaben. So bald wie möglich.“
Wie gelähmt hörte Carol ihm zu, während er erklärte, welche Schritte er zu unternehmen gedachte, um die Scheidung zu erlangen, ihr eine Abfindung zukommen zu lassen und ihre Rückkehr nach England in die Wege zu leiten. Sie fühlte sich noch immer unfähig, sich zu rühren, als er längst gegangen war und sie allein gelassen hatte. Die Worte „deine Freiheit“ dröhnten ihr in den Ohren.
Der rote Hibiskus im Garten wiegte sich sacht im Wind. Carol starrte ihn an und erkannte, dass sie aus dem palazzo fortmusste, um in Ruhe nachzudenken. In ein paar Minuten würde Anna kommen und den Speiseplan mit ihr besprechen wollen, und Cassar erwartete Anweisungen für den Blumenschmuck in den Salons.
Sie nahm den Wagen und fuhr in Richtung Ramla, doch auf halbem Weg fiel ihr ein, dass der Strand um diese Zeit voller Menschen sein würde – Massen von Urlaubern, dazu die Sonnenschirmverleiher und die Verkäufer von Erfrischungsgetränken. Für einen Moment glaubte sie, in der schwarz gekleideten Gestalt, die ihr in einiger Entfernung am Straßenrand entgegenkam und einen Korb voll Gemüse trug, Ta Dentella zu erkennen. Ich sollte ihr erzählen, was passiert ist, dachte Carol flüchtig. Aber nicht jetzt. Nicht jetzt. Jetzt, wo alles unwiderruflich vorbei war, wollte sie niemanden sehen.
Sie wendete und fuhr zurück – an der prähistorischen Tempelanlage von Ggantija vorbei, dann in Richtung Nadur und von dort aus zu der kleinen Bucht von San Blas. Kaum ein Tourist kannte diesen Ort, zu dem man nur zu Fuß gelangen konnte.
Carol parkte das Auto und ging die schmale, steile Straße hinunter, die lediglich aus zwei wagenradbreiten Betonfahrspuren bestand. Sie waren in regelmäßigen Abständen mit Querrillen versehen, damit die kleinen Traktoren und Eselskarren, die die abschüssige Piste benutzten, eine zusätzliche Bremshilfe hatten.
Sie gelangte an den winzigen, einsamen Strand und entledigte sich ihrer Kleider. Ihr Geist befand sich nach wie vor in einer Art Leerlauf, dennoch registrierte sie erstaunt, dass der Badeanzug, den sie in London erstanden hatte, noch passte. Es kam ihr vor, als habe dieser Einkauf in einer anderen Welt stattgefunden. Als gehöre er in eine andere Zeit, in ein anderes Leben.
In ein Leben jedenfalls, mit dem sie nichts mehr verband. Alles, was ihr etwas bedeutete, hatte sie hier – Freunde, Arbeit, Interessen; sogar die vergebliche Hoffnung auf Nicolas’ Liebe und ein glückliches Leben an seiner Seite hielt sie auf dieser Insel.
Carol watete ins Wasser, bis es ihr an die Hüften reichte, dann begann sie zu schwimmen. Schon nach wenigen Zügen überkam sie ein Gefühl der Erleichterung. Später, wenn sie zurück war, würde sie sich mit ihren Problemen auseinandersetzen müssen – praktischen Fragen wie der, wo sie in Zukunft wohnen wollte und wie ihr Leben aussehen würde, wenn sie Nicolas von dem Kind erzählte. Aber im Augenblick gab es nur sie selbst, das türkisfarbene Meer und den Horizont in der Ferne, über dem eine einzelne weiße Wolke hing.
Sie wandte sich um und war überrascht zu sehen, wie weit sie hinausgeschwommen war. Die schwarzen Felsen, die vereinzelt aus dem goldgelben Sand herausragten, wirkten von hier aus winzig.
Zu ihrem Ärger entdeckte Carol eine Gestalt auf dem Strand, die heftig mit den Armen gestikulierte und ihr etwas zurief. Doch auf diese Entfernung waren die Worte nicht zu verstehen.
Auf einmal streifte sich die Gestalt Hemd und Hose vom Körper, und Carol erkannte, dass es sich um einen Mann handelte. Nur noch mit Badehose bekleidet, stürmte er mit langen Sätzen ins Wasser, und im nächsten Moment wurde ihr klar, dass es Nicolas war, der mit einem flachen Hechtsprung in die Wellen eintauchte und dann mit kräftigen Zügen auf sie zukraulte.
Obwohl sie wusste, dass sie keine Chance hatte, ihn abzuhängen, schwamm sie weiter. Was immer er mir zu sagen hat – es ist völlig bedeutungslos für mich, so, wie die Dinge stehen, entschied sie im Stillen.
Dennoch erschrak sie, als seine Stimme keine zwanzig Meter hinter ihr ertönte. „Komm zurück!“, brüllte er. „Was zum Teufel machst du so weit draußen? Kehr sofort
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