Schaut nicht weg
Traumatherapie). Beide Verfahren beziehen sich in ihrer Methodik speziell auf die Besonderheiten des traumatisierten Gehirns. Die EMDR-Methode etwa zielt darauf ab, während der Psychotherapiesituation eine abwechselnde Stimulation beider Gehirnhälften des Klienten zu erreichen. Das funktioniert so: Während der Klient von seinen Erinnerungen erzählt, »klopft« ihm der Psychotherapeut abwechselnd auf die Knie oder lässt den Klienten bestimmte Augenbewegungen ausführen. Tatsächlich scheint EMDR durch diese simple Stimulation des Gehirns die Weiterleitung und Verarbeitung der traumatischen Erinnerungsbruchstücke im Gehirn zu unterstützen: Nach einer EMDR-Behandlung haben viele Betroffene erstmals die Möglichkeit, passende Worte für das Geschehene zu finden, und erleben tatsächlich eine deutliche Linderungen ihrerTrauma-Stress-Symptome. »EMDR beschleunigt die natürliche Trauma-Verarbeitung, dadurch reduziert sich die Zeit, in der man sich dem Trauma hilflos ausgesetzt und ausgeliefert fühlt«, erklärt eine Frau, die bereits als Kleinkind sexueller Gewalt durch ihre Mutter ausgeliefert war und fortan an den Symptomen litt. »Der entscheidende Erfolgsfaktor an EMDR ist, dass direkt auf die Reduktion der Belastung hingearbeitet wird und EMDR so genau das aus dem Leben schafft, was viele Überlebende am meisten fürchten, nämlich den traumatischen Stress!« Obwohl die Wirkung von EMDR mittlerweile gut belegt ist, wollen viele Krankenkassen dieses Verfahren leider noch immer nicht bezahlen.
Die PITT hingegen wird normalerweise im Rahmen eines anerkannten Psychotherapieverfahrens ausgeübt und kann als eine abgewandelte Form der Psychoanalyse betrachtet werden. PITT richtet sich direkt an Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen und integriert verschiedenste Elemente anerkannter psychotherapeutischer Verfahren: von angewandter Psychoanalyse bis hin zu solchen aus der kognitiven Verhaltenstherapie und imaginativen Verfahren sowie Prinzipien der Achtsamkeitsmeditation. Ganz wichtig bei PITT ist das Konzept der Selbstregulation und Selbstheilung. Der Klient soll lernen, den eigenen Stress und Schmerz selbst »regulieren« beziehungsweise lenken zu können. Dafür benutzt Reddemann etwa den imaginären Raum der »inneren Bühne«: An diesen guten, sicheren Ort bringt der Patient seinen verletzten inneren Anteil – meist ein »inneres Kind« –, um ihn dort von stets verfügbaren idealen Eltern und »hilfreichen Wesen« versorgen und trösten zu lassen. Die in der Therapie gelernten Übungen kann der Patient später selbstständig anwenden und so den eigenen Stress und dessen Symptome steuern lernen. Auch diese Methode hat gute Wirksamkeitsnachweise.
Heute gibt es also viele Hilfsangebote für Menschen, die die sexuellen Gewalterlebnisse ihrer Kindheit bearbeiten möchten. Vor 50 oder gar erst vor 30 Jahren war dies noch nicht der Fall. Doch obwohl das Hilfsangebot breit gefächert scheint, ist es – wie bereits erwähnt – doch wichtig, bei der Suche nach einem Psychotherapeuten genau hinzuschauen: Verfügt diese Person über eine anerkannte Psychotherapieausbildung? Besitzt sie eine traumatherapeutische Zusatzausbildung? Hat sie bereits Erfahrung sammeln können in der Arbeit mit Opfern sexueller Gewalt? Und, zu guter Letzt: Ist sie sympathisch? Lautet die Antwort auf diese Fragen ja, kann die Psychotherapie ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein.
Denn Betroffene müssen nicht ein Leben lang unter dem sexuellen Missbrauch leiden. Mit der Unterstützung durch Freunde, Mitarbeiter von spezialisierten Beratungsstellen und Psychotherapeuten können viele von ihnen den schrecklichen Erinnerungen einen angemessenen Platz zuweisen und die scheinbar noch immer gegenwärtige Macht des Täters endlich brechen lernen. Der sexuelle Missbrauch wird zwar immer ein Teil ihrer vielfältigen Lebensgeschichte, ihrer Stärken und Schwächen bleiben – aber nicht mehr der alles entscheidende.
Teil II – »Welch tiefe Wunden«: Sexuelle Gewalt gegen Kinder in unserer Gesellschaft
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Sexuelle Gewalt gegen Kinder in unserer Gesellschaft
Kapitel 3 – »Internet & Co«: Sexuelle Gewalt gegen Kinder in den Neuen Medien
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