Schaut nicht weg
dies geschah. Eine 14-Jährige, nennen wir sie Lena, verliebt sich im lokalen Chat in einen 15-jährigen Jungen. Sie treffen sich und schlafen miteinander. Dann fragt der Junge, ob Lena nicht Lust habe, auch mit seinem Freund zu schlafen. Lena willigt ein und hat Sex auch mit diesem Jungen. Und noch jemand ist dabei: Der 13-jährige Bruder des Freundes, der unter Einwilligung des Mädchen den Sexualakt mit seinem Handy filmt. Lena bekommt anschließend sogar das Video geschickt und sendet es – aus welchen Gründen auch immer – ihrem besten Freund weiter. Dieser wiederum schickt das Video in der Nachbarschaft und Schule weiter. Schließlichlandet es sogar bei Freunden ihrer Eltern, die allerdings nichts unternehmen. Als die Verbreitung sich immer weiter steigert, bekommt Lena Angst vor ihren Eltern und erzählt sowohl ihrer Mutter als auch einer Pädagogin in einem Jugendzentrum von der Geschichte. Die entsetzte Mutter sucht das Gespräch, Anzeige wird erstattet, ein Termin in einer Beratungsstelle vereinbart. Kurz darauf wird die Anzeige zurückgezogen und alles verläuft im Sande. Die Mitarbeiter des Jugendzentrums sind verunsichert, denn ihrer Einschätzung nach handelte es sich bei der ganzen Sache um eine Vergewaltigung – diesen Eindruck hatten Lena und ihre Mutter transportiert. Aber nun machen sich Zweifel breit. War es wirklich eine Vergewaltigung? Wenn ja, warum gab Lena dann selbst die Bilder weiter und bugsierte sich so letztlich in die Schusslinie? War sie nun ein Opfer oder nicht? Auf dem Schulhof und im Freundeskreis des Mädchens sind die Urteile klar: Lena war eine »Schlampe« und »selbst schuld«. Die Jungen rechtfertigten sich mit »Die wollte das doch auch!« und erhielten Unterstützung durch ihre männliche Peer-Gruppe. Insgesamt eine katastrophale Situation für das Mädchen, die es danach in ihrem Freundeskreis sehr schwer hatte und sich irgendwann sogar gezwungen sah, die Schule zu wechseln. Und doch kommen solche Geschichten unserer Erfahrung nach immer häufiger vor: Ein junger Mensch, der vermeintlich informiert ist, alle Internetregeln kennt und sogar an der Schule den »Internetführerschein« gemacht hat, lässt eine Situation dennoch eskalieren und überschaut gar nicht, welch katastrophale Folgen die Verbreitung des selbst produzierten Bild- oder Filmmaterials haben kann. Die sexuellen Handlungen, wie freiwillig sie auch immer waren, waren in einer Schnelligkeit verbreitet worden, die nie Lenas Zustimmung gefunden hätte, hätte sie voraussehen können, welche Folgen dies nach sich ziehen würde.
Wir brauchen also insgesamt mehr Präventionsarbeit für einen verantwortlicheren Umgang mit dem Internet. Kinder und Jugendliche müssen noch besser informiert werden über die Gefahren, die im Netz lauern – und die Gefahren, denen sie sich möglicherweise selbst aussetzen, wenn sie ihre Profile und Bilder online stellen beziehungsweise erlauben, dass private Bilder und Videos verschickt werden. Eltern müssen nachfragen, was ihre Kinder im Internet tun, und mit ihnen grundlegende Sicherheitsregeln besprechen. Gerade bei sehr jungen Internetnutzern bietet es sich überdies an, den Rechner nicht im eigenen Zimmer, sondern in einem gut einsehbaren öffentlichen Raum zu positionieren. Vor allem die älteren Jahrgänge der Eltern, die heute vielleicht längst pubertierende Kinder haben, sollten sich von ihren Kindern eine Einweisung in deren virtuelle »Spielplätze« geben lassen. Denn jüngeren Eltern dürfte es mittlerweile leichterfallen, nachzuvollziehen, was ihre Kinder im Netz tun – schließlich geht nun eine Elterngeneration an den Start, die selbst mit dem Internet aufgewachsen ist. Und auch Lehrer sollten dafür sensibilisiert werden, in welch virtuellen Welten ihre Schüler leben. Denn nicht selten haben schulische Mobbingsituationen ihren Ursprung in Online-Bekanntschaften oder Internet- und Handygewalt.
Das Internet bietet Jugendlichen zwar tolle Möglichkeiten – aber es kennt auch keine Moral. Es ist Tummelplatz für kriminelle Handlungen, es dient skrupellosen Pornohändlern als Transfermedium für deren Bilder und Filme, es vereinfacht Sexualstraftätern die Opfersuche und den Zugriff auf Opfer. Wie, das möchte ich auf den folgenden Seiten zeigen.
»Wir dürfen nicht wegsehen!«: Kinderpornografie im Internet
Hans war sechs Jahre alt, als wir ihn bei Innocence in Danger e.V. kennenlernten. Ein hübscher, grünäugiger Junge, der kaum sprach und viele Geheimnisse
Weitere Kostenlose Bücher