Schaut nicht weg
in sich zu tragen schien. Er war in belasteten Verhältnissen aufgewachsen: Die Familie war arm, der Vater ein Despot, die Mutter zu schwach, um sich gegen ihren Mann zu wehren. Hans kam zu Innocence in Danger e.V. mit einer schrecklichen Geschichte. Seit seinem dritten Lebensjahr hatte sein Vater, Mitglied in einem Internet-Netzwerk von Pädokriminellen, ihn systematisch und grausam missbrauchen lassen. Von der eigenen Mutter, die vom Vater gezwungen worden war, sich vor laufender Kamera an ihrem Sohn zu vergehen. Immer wieder. Der Vater agierte dabei als »Regisseur« und verkaufte die »Filme« dann anschließend in seinem Internet-Netzwerk – ein lukratives Geschäft. Erst nach drei Jahren fand Hans’ Mutter die Kraft, sich zu lösen. Sie konnte nicht länger ertragen, was sie und ihr Mann ihrem Sohn antaten – und stellte sich der Polizei. Heute verbüßt Hans’ Vater eine Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung, und auch seine Mutter sitzt im Gefängnis. Ihr Sohn wird nun professionell betreut. Kinderpsychologen versuchen, herauszufinden, wie tief die erlebte Gewalt Hans’ junge Seele verletzt hat und was getan werden kann, damit seine inneren und äußeren Verletzungen heilen können.
Die Geschichte von Hans ist schrecklich. Und doch ist Hans ein Fall von vielen. Weltweit werden circa 1,8 Millionen Kinder jährlich zu Pornografie und Prostitution gezwungen, eine schockierende Zahl, die der Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung in Rio Ende 2008 ermittelte. Hinter diesen unzähligen Kindesvergewaltigungen und Kindesmisshandlungenstecken unterschiedlichste Täter – Pädokriminelle, Psychopathen oder einfach skrupellose Menschen, die Geschäfte mit Kinderkörpern machen. Immer häufiger aber landen filmische oder fotografische Dokumentationen dieser sexuellen Gewalterfahrungen im Internet – oder werden wie im Fall von Hans gezielt dafür produziert. Denn das Internet hat die Verbreitung des Materials pornografischer Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen erheblich erleichtert. Vorbei sind die Zeiten, als komplizierte Briefkastensysteme und verklausulierte Zeitungsannoncen die Nachfrage nach Kinderpornografie zu befriedigen suchten. Heute genügen wenige Klicks am Schreibtisch. Und geklickt wird viel. Wurden 1998 im US-amerikanischen »Child Victim Identification Program« des »National Center for Missing und Exploited Children« bereits 100
000 Abbildungen kinderpornografischer Ausbeutung im Netz registriert, war diese Zahl Ende 2008 auf 15 Millionen gestiegen – eine Steigerung also um 1500 Prozent! Das Münchner Unternehmen »fast-detect«, Spezialist für digitale Forensik, schätzt, dass die Gesamtzahl kinderpornografischer Materialien im Internet auf bis zu einer Milliarde Bilder und Videos geschätzt werden kann. Das Internet ist ein Treffpunkt für Täter geworden, die kinderpornographische Bilder handeln und tauschen, einander Warnungen vor strafrechtlicher Verfolgung weitergeben oder sogar Kinder gegen Geld zum sexuellen Missbrauch anbieten. Die Anonymität im Netz macht es den Tätern leicht. Jeder kann unkontrolliert Bilder und Videos einstellen und Kontakte knüpfen, ohne seine wahre Identität preiszugeben. Über so genannte Tauschbörsen – »Peer-to-Peer«-Plattformen – tauschen Kinderporno-Konsumenten im Sekundentakt weltweit große Datenmengen an kinderpornografischem Material. Dass der Konsum dieser Bilder und Videos aber nichtnur den Tatbestand der Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen erfüllt, sondern tatsächlich filmisch oder fotografisch dokumentierte reale sexuelle Missbräuche in Kauf nimmt, das muss man sich stets vergegenwärtigen! Und dieser Missbrauch findet nicht in der virtuellen Welt des Internets, sondern ganz im Gegenteil in der realen Welt unserer Nachbarschaft, Gemeinde, Stadt oder Nation statt.
»Aber nicht bei uns«: Deutschland als Umschlagplatz für Kinderpornografie
Auch in Deutschland, wie die Geschichte von Hans gezeigt hat. Denn auch hier gibt es einen riesigen Bedarf nach Kinderpornografie – auch hier wird gezielt filmisches oder fotografisches Material für diesen Markt produziert. Laut Schätzung von Innocence in Danger e.V. leben in der Bundesrepublik Deutschland 50
000 regelmäßige Konsumenten von Kinderpornografie. Die deutsche Kriminalstatistik verzeichnet einen konstanten Anstieg beim Besitz, der Beschaffung und Verbreitung von Kinderpornografie, von 2006 auf 2007 allein gab es einen Zuwachs von 111 Prozent. Gerade
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