Schaut nicht weg
rechtswidrig, sich »bewusst Dateien mit kinderpornografischem Inhalt zu verschaffen oder gewollt eine solche Internetseite aufzurufen und zu betrachten«. Das Oberlandesgericht begründete das Urteil damit, dass außer konkreten Gegenständen wie Videokassetten mit kinderpornografischen Darstellungen auch Internetdateien einen »Anreiz für kommerzielle Anbieter« schaffen, bei der Produktion von Filmen und Bildern Kinder zu missbrauchen. Aber es gibt noch viel mehr, was man tun sollte, um gegen Kinderpornografie im Internet anzugehen: International und national müssen Kinderschutz-Systeme verbessert werden, denn die sexuelle Ausbeutung von Kindern kann nur dann wirksam bekämpft und eingedämmt werden, wenn Polizei, Strafverfolgungsbehörden, Gemeinden, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen eng zusammenarbeiten. Bedrohte Kinder müssen frühzeitig identifiziert und geschützt werden. Alle Staaten müssen die relevanten internationalen Abkommen zum Kinderschutz unterzeichnen und umsetzen. Dabei gilt es besonders, die grenzübergreifende Strafverfolgung zu verbessern – zum Beispiel durch mehr Kontaktbeamte. Auch für die Beobachtung des Internets braucht es dringend mehr Spezialisten. Und ebenfalls müssen Wirtschaftszweige wie die Tourismusindustrie, die Reiseindustrie, Kreditartenunternehmen, Internetprovider, Internetcafés, Arbeitsvermittlungen, Modellagenturen, Austauschprogramme, Sportindustrie und Clubs in die Verantwortung genommen werden und sicherstellen, dass in ihrem Umfeld keine Kinder missbraucht oder ausgebeutet werden. Auf keinen Fall können wir hinnehmen, dass Bilder, auf denen Kinder regelrecht gefoltert werden, ungehindert im Netz kursieren.
Vor allem aber müssen wir uns mehr um die kindlichenOpfer kümmern. Denn mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern beschäftigen sich viele nur ungern. Selbst in der Diskussion mit Fachleuten landet man oft ganz schnell bei den Tätern oder Strafverfolgern, während die Opfer bald aus dem Blickfeld geraten. Möglicherweise ist das Thema so erschütternd, dass viele lieber nicht so genau darüber nachdenken wollen. Doch genau dafür tritt Innocence in Danger e.V. ein: für die Unterstützung der Opfer, derjenigen Kinder und Jugendlichen also, die gegen ihren Willen zu Darstellern in kinderpornografischen Videos gemacht werden oder auf Bildern posieren müssen. Denn mit der Verbreitung werden sexuell missbrauchte Kinder doppelt ausgebeutet: Durch den Missbrauch erleben sie Verrat, Angst, Wut, Trauer, Schmerz – körperlichen und seelischen – und ein völliges Ausgeliefertsein. Wenn sie dann anfangen zu verstehen, dass es von diesem Missbrauch Bilder gibt, die für immer im Internet kursieren, erleben sie noch einmal einen totalen Kontrollverlust. Sie müssen mit dem Wissen leben, dass sie eventuell schon erwachsen sind, wenn sich irgendwo auf der Welt jemand ansieht, wie sie vergewaltigt wurden, als sie sechs Jahre alt waren. Das ist furchtbar und das können wir nicht hinnehmen.
»Wer sind diese Kinder?«: Den Opfern eine Stimme geben
Die Anzahl der Kinder, deren sexuelle Gewalterfahrungen nun auch in Filmen oder auf Fotos dokumentiert werden, steigt: Im Jahr 2003 lag die Zahl der Fälle von Tatverdächtigen im Hinblick auf die Produktion von Kinderpornografie bei knapp 2000 Fällen, in 2006 wurde bereits in 4500 Fällen ermittelt. Die Dunkelziffer ist in beiden Fällen aber beträchtlich höher einzuschätzen, da nur die Minderzahl derFälle zur Anzeige gebracht beziehungsweise eigenständig durch die Polizei ermittelt wird. Experten schätzen, dass im Falle sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen die Dunkelziffer 17- bis 20-mal höher liegt: Wir sprechen also vielmehr von 300
000 Kinder und Jugendlichen in Deutschland. Vielfach beginnt der Missbrauch dort, wo Kinder am sichersten sein sollten: in den eigenen Familien, wie im Fall von Hans. Dabei hält sich das Vorurteil hartnäckig, dass sich Missbrauchserfahrungen nur in sozial schwachen Milieus abspielen. Aber das stimmt nicht – Missbrauch findet überall statt. Bisweilen sind sogar Lehrer, Erzieher, Jugendrichter, Anwälte, Priester involviert, Menschen also, deren Aufgabe es ist, Kinder zu schützen. Doch oft kommt den Kindern niemand zur Hilfe. Viele Kinder, die in die Prostitution abgleiten, haben ein Martyrium des Missbrauchs in ihren eigenen Familien hinter sich, weil Angehörige, Freunde und Nachbarn weggeschaut oder Anzeichen verdrängt haben.
Dabei gibt es meist
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