Schaut nicht weg
optimale Förderung erfahren. Natürlich ist es toll, den Kindern einen Ausgleich und interessante Anreize zu bieten. Das andere Extrem ist, wenn die Kinder nur noch vor dem PC oder dem Fernsehgerät sitzen. In beiden Fällen fehlt ihnen die Gelegenheit und die Freiheit, in der Natur zu spielen, Dinge wachsen zu lassen, auch mal Langeweile zu verspüren – und diese durch eigene Ideen zu überwinden lernen. Diese Freiheit brauchen Jungen und Mädchen nämlich. Kinder, die es gelernt haben, sich selbst zu beschäftigen und eigene Ideen umzusetzen, finden es später womöglich weniger interessant, den ganzen Tag passiv vor dem Rechner zu hängen.
Und dann schimpfen wir, wenn unsere Kinder zu oft im Internet unterwegs sind. Doch sind wir nicht auch in dieser Hinsicht keine guten Vorbilder für sie? Viele Erwachsene sitzen abends nicht mehr auf dem Sofa und lesen ein Buch, sondern surfen stundenlang im Netz. Und auch die Trennung zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, die wir unseren Kindern in puncto Medienkompetenz so gern vermitteln wollen, bekommen wir oft selbst nicht hin. Wenn ich mir anschaue, was viele meiner Bekannten auf ihre Facebook-Seiten stellen, dann wird mir ganz schwindelig: intime Informationen, Urlaubsberichte inklusive Bikinifotos, private Korrespondenzen. Das Gros der Erwachsenen, die sich in Social Networks befinden, stellt da alles Mögliche rein. Klar: Schreiben ist verführerisch, weil man in das zu lesende Wort all seine Fantasien und Wünsche hineinlegenkann. Aber muss man diese Fantasien und Wünsche deshalb gleich öffentlich machen? Wenn ein 15-Jähriger nicht darüber nachdenkt, was er auf sein Schüler-VZ -Profil schreibt, finde ich das nicht weiter verwunderlich – wenn eine 35-jährige Frau das aber nicht tut, dann schon. Also: All unsere Appelle an Jugendliche in Bezug auf einen verantwortlicheren Umgang mit dem Internet laufen ins Leere, wenn wir Erwachsenen selbst nicht in der Lage sind, im Netz das Private und das Öffentliche zu trennen!
Und auch im Hinblick auf verlässliche und stabile Bindungen sind wir oft keine guten Vorbilder für unsere Söhne und Töchter. Immer wieder beobachte ich in meinem Umfeld, dass Paare sich zu schnell trennen, wenn es schwierig wird. Statt an ihrer Partnerschaft zu arbeiten und vielleicht auch mehr Kompromisse zu schließen, meinen sie, ihr Glück nur woanders finden zu können. Dabei geht das Leben immer auf und ab, egal ob man alleine ist oder zu zweit. Und aus solcherart Krisen kann man durchaus gestärkt hervorgehen! Ich bin in dieser Hinsicht meinen Eltern unglaublich dankbar. Dass sie mir ermöglicht haben, in einer stabilen Familie aufzuwachsen, mit einer sicheren Bindung zu verantwortungsvollen Eltern, die immer zu mir hielten und mir die Freiheit und Sicherheit gaben, mich so zu entwickeln, wie ich wollte – das empfinde ich als großes Geschenk. Denn wir machen uns oft absolut keinen Begriff davon, was es für Kinder bedeuten kann, wenn die Eltern sich trennen. Die Kinder verlieren ihre sichere Basis und ihren Platz in der Mitte einer schutzgebenden Familie. Natürlich können auch fürsorgliche alleinerziehende Mütter oder Väter eine Menge kompensieren. Aber dennoch liegt es auf der Hand, dass ein Kind mit einem starken Elternpaar im Rücken sich freier entwickeln kann als ein Kind eines alleinerziehenden Elternteils, das möglicherweise nicht nur dasschwierige Erlebnis der Trennung zu bewältigen hat, sondern sich nun auch noch mit finanziellen Schwierigkeiten und einer neuen Lebensplanung nach der Trennung auseinandersetzen muss. So schreibt der renommierte kanadische Bindungsforscher Gordon Neufeld: »Die Kinder, die im Kontext einer stabilen und zugewandten Familie aufwachsen, haben die besten Chancen, um Eigenschaften zu entwickeln, die sie brauchen, um Tätern aus dem Weg zu gehen. Und wenn dies aufgrund der Umstände und Situationen unmöglich ist, haben Kinder, die im Kontext der Familie aufgewachsen sind, die besten Voraussetzungen, angemessen mit gesundem Ärger, mit gesunder Wut und mit Anschuldigungen zu reagieren. In der Familie aufgewachsene Kinder haben auch die beste Chance, sich von dem Trauma sexueller Verletzungen zu erholen.«
Heute weiß man zum Beispiel, dass Kinder, die zu früh zu viel Trennung erleiden, weniger gut gegen sexuelle Gewalt geschützt sind. Denn durch die Trennungserfahrungen leidet oft ihre Bindungssicherheit. Und die brauchen sie, um sich bei sexuellen Gewalterfahrungen einem
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