Scheherazade macht Geschichten
Schwerter nicht alles, nicht wahr?«
Dunyazad machte sich schon bereit, zu ihrem allnächtlichen Erkundungsgang durch die übrigen Gemächer des Königs aufzubrechen, als dieser unerwartet in seine Hände klatschte. »Nein. Es ist schon viel zu lange her, daß ich etwas aufgeschlitzt habe! Ich muß jetzt ein Schwert in den Händen halten! Ich schlitze, also bin ich!«
Scheherazade und Dunyazad überlegten nicht lange und griffen sich schützend an ihre zierlichen Kehlen. Doch im gleichen Augenblick trat einer jener Sklaven, die stets in der Nähe, herumzulungern schienen, hinter einem der Vorhänge hervor. »Was wünscht Ihr, o König?« fragte der Sklave.
»Aufschlitzen!« stieß Shahryar zwischen zusammengepreßten Zähnen hervor. Auch der Muskel über seinem rechten Auge begann leicht zu zucken. »Ich muß etwas aufschlitzen!«
Woraufhin der Sklave sich tief verbeugte und wieder hinter dem Vorhang verschwand. Scheherazade schluckte heftig, während sie weiterhin die Partie ihres Körpers umklammert hielt, die ihr das Schlucken erst ermöglichte. War der Diener etwa verschwunden, damit er nicht Zeuge eines Doppelmordes an den beiden Schwestern zu werden brauchte?
Shahryar sank vor dem mittleren der drei Schwerter auf die Knie – jenem Schwert, dessen Griff und Scheide mit Diamanten besetzt war. Er streichelte die Scheide liebevoll, als wäre sie der Arm einer Geliebten. »Aufschlitzen«, flüsterte er. »Schwerter. Beile. Messer. Lanzen.« Er blinzelte (vielleicht war es aber auch nur ein weiterer nervöser Tick). »Was habe ich über Lanzen gesagt?«
Als der König gerade das Schwert ziehen wollte, tauchte plötzlich der Sklave wieder auf. Shahryar runzelte die Stirn, hielt aber in seiner Bewegung inne.
»Ich habe Euch etwas zum Aufschlitzen gebracht, o Herr und Meister«, verkündete er. In seiner Hand hielt er eine Melone von der Größe eines Menschenkopfes.
»Aufschlitzen?« murmelte der König. »Ja, aufschlitzen!« Mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit war der König wieder auf den Füßen, das Schwert aus seiner Scheide heraus und die Melone zerteilt, und zwar nicht nur einmal, sondern zweimal, so daß sie jetzt aus vier fast gleichgroßen Teilen bestand.
»Verzeiht mir«, entschuldigte sich der König, als er sein Werk begutachtete. »Ich habe etwas überhastet gehandelt. Wäre ich nicht so müde und erschöpft, wäre es mir sicher gelungen, die Melone etwas gleichmäßiger zu vierteln.«
»Oh«, war alles, was die Königin herausbrachte. Dennoch gelang es Scheherazade schnell, sich so weit von ihrer Überraschung zu erholen, daß sie ein Lächeln zustande brachte. Außerdem richtete sie ihre Gewänder so, daß eine ihrer nackten Schultern hervorblitzte. »O über alles verehrter Gatte, vielleicht kann ich Eure Sorgen ein wenig lindern.«
»Vernaschen?« fragte der König und musterte sie eingehend. »Nun, das könnte ich mir durchaus vorstellen.« Er hielt kurz inne, um die Klinge des Schwertes an seiner königlichen Robe abzuwischen. »Es wird allerdings etwas schneller gehen müssen als in den letzten Nächten. Immerhin gibt es da noch ein paar andere Dinge, die erledigt werden müssen.« Er kniff ein Auge zu und nahm sein Schwert ganz genau in Augenschein.
Kurz darauf blickte er wieder auf und sah zur ungewöhnlich stillen Scheherazade hinüber. »Wir werden zum Beispiel die Melone essen müssen.« Er atmete tief ein und steckte die Waffe zurück in die Scheide. »Außerdem mußt du mit deiner Geschichte fortfahren.«
»Aber sicher doch, o mein Gebieter«, stimmte Scheherazade ihm bereitwillig zu. Und so schritt der Abend immer weiter fort, und sie verspeisten die Melone und naschten danach ausgiebig, bis schließlich jener Teil der Nacht hereinbrach, in dem Scheherazade den König mit Worten in ihren Bann zu ziehen beabsichtigte. Und in dieser Nacht betete sie darum, mit besonders vielen und guten Einfällen gesegnet zu sein, denn erst jetzt hatte sie die ganze Macht der Kräfte, die in diesem Palast gegen sie arbeiteten, erkannt.
»Nun, wo waren wir stehengeblieben?« wollte der König wissen. »Unser unglücklicher Händler soll von einem Dschinn getötet werden. Genau. Doch dann kommen drei Scheichs vorbei, von denen jeder ein Tier an der Leine führt, und einer von ihnen verspricht, der schrecklichen übernatürlichen Kreatur seine Geschichte zu erzählen, wenn er dafür irgendeinen Wunsch erfüllt bekommt, den ich im Moment vergessen habe.«
»Er bittet den Dschinn um ein
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