Scheherazade macht Geschichten
köpfen!«
Scheherazade fürchtete, daß ihre Schwester da leider nur allzu recht hatte. Denn inzwischen hatte Shahryar das Schwert aus der Scheide gezogen, und mit hoch erhobener Waffe näherte er sich den beiden Frauen.
»Herr!« rief sie dem schlafenden König zu. »Wacht auf!«
»Aber Schwester«, tadelte Dunyazad sie. »Ich habe gehört, daß es sehr gefährlich wäre, einen Schlafwandler zu wecken.«
»Verzeih mir, o Schwester, daß ich dir widersprechen muß«, erwiderte Scheherazade, »aber glaubst du wirklich, daß unsere gegenwärtige Lage noch gefährlicher werden könnte?«
Sie duckte sich, um dem Schwert des Königs zu entgehen, das zischend die Luft über ihrem Kopf durchschnitt. Es verfehlte sie, um die Wahrheit zu sagen, ein gutes Stück. Die Tatsache, daß seine Augen geschlossen waren, schien die Zielgenauigkeit des Königs doch stark zu beeinträchtigen. Scheherazade hoffte, daß ihnen dies zum Vorteil gereichen würde.
Dunyazad war es gelungen, in den Rücken des Königs zu gelangen, und nun zerrte sie an seinen Nachtgewändern. »Oh, Herr!«
Shahryafs Antwort bestand darin, daß er mit seiner freien Hand nach hinten griff und Dunyazad an den Haaren packte.
»Oh, Schwester!« rief Dunyazad. »Er hat mich!«
Und der König zog an ihrem Schopf, so daß Dunyazad gezwungen war, den Kopf zu heben und ihren zarten Hals zu entblößen. Auch die Hand, die das Schwert hielt, hob sich, um den todbringenden Schlag auszuführen.
Und während alldem schnarchte König Shahryar unbeirrt weiter!
Gab es denn tatsächlich keinen Weg, ihn aufzuwecken, bevor er Dunyazad ermordete?
Das 12. der 35 Kapitel,
in dem ein Hühnchen
unseren Weg kreuzt.
»Schwester!« rief Dunyazad voll panischem Entsetzen und Verzweiflung. »Es muß einen Weg geben, den König davon abzuhalten sein Schwert zu gebrauchen!«
Erneut rief Scheherazade ihren Ehemann beim Namen, doch daraufhin wurde sein Schnarchen nur noch lauter. Das Schwert schwebte über seinem Kopf und fuhr hierhin und dahin, als versuche der König, da er ja nichts sehen konnte, den Weg zu Dunyazads Nacken zu erahnen. Scheherazade konnte das nicht zulassen. Doch was hatte sie einem Mann entgegenzusetzen, der stark und gewandt und augenblicklich ohne Bewußtsein war? Ihr fiel nur eine Möglichkeit ein, die, da sie funktioniert hatte, als der König wach gewesen war, auch funktionieren mochte, wenn er schlief. Also begann sie erneut, ihre Geschichte zu erzählen:
DIE GESCHICHTE
VOM HÄNDLER UND DEM DSCHJNN
(wieder aufgegriffen während der Geschichte des dritten Scheichs, als dieser die Geschichte vom Fischer und dem, was er in seinem Netz fing, erzählte und gerade an der Stelle angekommen war, wo der Fischer vom Wesir Yunans und Rayyan dem Medicus und dem, was sich zwischen ihnen zutrug, erzählt)
Doch bevor sie mit ihrer Geschichte richtig anfangen konnte, hielt Scheherazade inne, denn der König begann plötzlich noch lauter und heftiger zu schnarchen. Was, so fragte sie sich mit mehr als nur einer Spur von Furcht.
Doch dann begann der König auf einmal zu stöhnen und sich zu schütteln, als ob er, anstatt mit seinem Schwert einen anderen zu töten, nun einen Kampf mit sich selbst austrug. Es war ein wirklich schrecklicher Anblick, aber wenigstens bewegte er sein Schwert dabei nicht. Es sah ganz so aus, als hätte allein der Titel von Scheherazades Geschichte genügt, den König von seinem grausamen Vorhaben abzulenken.
Dunyazad mußte zu der selben Schlußfolgerung gekommen sein, denn sie rief Scheherazade zu: »Schnell! Ich bitte dich, fahre fort, bevor ich meinen Kopf verliere!«
Also atmete Scheherazade tief ein und wollte noch einmal beginnen. Doch in eben diesem Augenblick ertönte der Gong, der den Beginn eines neuen Tages verkündete.
Der Gongschlag schien eine unmittelbare Wirkung auf den König zu haben, der augenblicklich aufhörte zu zittern, während das Schwert aus seinen schlaffen Fingern glitt und klappernd zu Boden fiel. Die Augenlider des Königs öffneten sich, und er lächelte freundlich, als er Scheherazade und Dunyazad erblickte.
»Was für eine vorzügliche Geschichte«, lobte Shahryar aus vollem Herzen. »Und wieder einmal tut es mir leid, daß sie ein Ende gefunden hat – zumindest bis heute abend. Huch! Ich scheine ja aufgestanden zu sein. Ich muß müder gewesen sein, als ich dachte. Doch kommt! Ihr müßt euch in den Harem zurückziehen, während ich mich ans Tagwerk mache.« Er gähnte und streckte sich,
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