Scheherazade macht Geschichten
des Prinzen nur noch stärker.
›Aber warum laßt Ihr Euch denn so von Eurer Furcht beherrschen?‹ wollte die junge Frau, die in Wahrheit eine Menschenfresserin war, wissen. ›Habt Ihr mir denn nicht erzählt, daß Ihr ein Prinz seid?‹
Der Sohn des Königs konnte nur zustimmend nicken.
›Nun, Prinzen sind reich‹, meinte die junge Frau folgerichtig, was für eine Menschenfresserin schon eine erstaunliche Leistung ist. ›Habt Ihr nicht genügend Geld, das Ihr Eurem Feind geben könnt, damit er Euch nie wieder belästigt?‹
Der Prinz sah keinen Grund, warum er darauf keine ehrliche Antwort geben sollte: ›Ich fürchte, daß Geld ihm nicht genügen und nur mein Tod ihn zufriedenstellen würde.‹
›Wenn Ihr also machtlos seid, dann liegt es sowieso nur in der Hand Allahs, des Allmächtigen, ob Ihr verschont werdet oder nicht‹, sinnierte die junge Frau, ›vor allem, wenn diese Kreatur so voller Bösem steckt, wie Ihr sagt.‹ Sie lächelte, und der Prinz hätte schwören können, daß in diesem Lächeln mehr von der Menschenfresserin als von dem jungen Mädchen steckte. ›Doch kommt jetzt. Sicher habt Ihr Euch erholt und könnt wieder gehen. Ich habe viel hungrige Mäuler, die... ich meine, faszinierende Dinge, die ich Euch zeigen muß.‹
Doch in diesem Augenblick erkannte der Prinz, daß die Menschenfresserin, obwohl sie wahrscheinlich keine Ahnung hatte, wovon sie eigentlich redete, einen guten Vorschlag gemacht hatte. Er wandte sich also, an den Allmächtigen und flehte ihn inständig um seine Gnade an. ›Bitte errette mich‹, beendete er sein Gebet, ›vor der Menschenfresserin und ihrer nimmersatten Brut.‹
›Oh‹, meinte die Menschenfresserin, die aussah wie ein junges Mädchen, ›Ihr glaubt, ich sei eure Feindin? Glaubt mir, ich wollte Euch wirklich auf die allerfreundschaftlichste Art und Weise verspeisen.‹ Sie runzelte die Stirn, während sie an sich hinuntersah. ›Oh, Mist‹, fluchte sie, denn sie mußte feststellen, daß sie sich aufzulösen begann und bald ganz verschwunden sein würde. Und dann war sie ganz verschwunden. Allah hatte den Prinzen erhört.
Augenblicklich konnte der junge Mann seine Beine wieder bewegen. Und so bestieg er sein Pferd und galoppierte zu der Stelle zurück, an der er das seltsame Tier, das er verfolgt hatte und das in Wahrheit die Menschenfresserin gewesen war, zum erstenmal gesehen hatte. Dort angekommen, entdeckte er den Wesir, wie dieser nachdenklich einen Stapel mit wertvollen Gegenständen begutachtete, die alle dem Prinzen gehörten, einschließlich des goldenen Sattels, des juwelenbesetzten Bogens, der Pfeile und all der anderen Waffen.
Und während dieser Schurke seine vermeintliche Beute betrachtete, sprach er zu sich selbst: ›Was für ein hübscher kleiner Schatz. Wo soll ich ihn wohl vergraben? Außerdem muß ich noch üben.‹ Und damit setzte er die kummervollste Miene auf, die man sich vorstellen kann. ›O weh, gnädiger Herr, eine Menschenfresserin hat Euren Sohn geraubt, und sie hat auch sein Pferd und seine Waffen gestohlen!‹ Eine ganze Minute lang strömten dem Wesir dicke Tränen aus den Augen, während er wehklagend auf den Knien rutschte. Dann stand er wieder auf, wischte sich die Wangen trocken und begann wieder seine Beute zu bewundern. ›Jawohl‹, meinte er, ›so wird's gehen.‹
Den Prinzen packte eine ungezähmte Wut, und er stürzte auf den Schurken zu, um ihn zur Rede zu stellen. ›Du hast mich dazu ermuntert, einer Menschenfresserin zu folgen, die mich sicher getötet hätte! Und als ich fort war, hast du all meine Besitztümer zusammengerafft, um sie dir unter den Nagel zu reißen!‹
›Aber das ist ja mein Prinz!‹ erwiderte der Wesir. ›Welch angenehme Überraschung!‹ Er stellte sich schnell vor die angehäuften Wertsachen. ›Aber was redet Ihr da von einem Goldschatz?‹ Der Wesir warf rasch einen Blick hinter sich und sah, daß seine Amtsgewänder nicht ausreichten, den Stapel vor den Blicken des Prinzen zu verbergen. ›Ein Goldschatz? Soein Unsinn!‹ Vielleicht, so mußte er wohl gedacht haben, wenn er noch einen Schritt zurück machte und seinen Umhang ausbreitete... ›Sicher müßt Ihr Euch irren.‹
In diesem Augenblick stolperte der Wesir, fiel nach hinten und pfählte sich selbst mit einem goldenen Schwert, dessen Knauf mit Rubinen besetzt war, so rot wie sein in Strömen fließendes Blut.
So ergeht es allen Schurken. Und so endet meine Geschichte.‹
DIE GESCHICHTE
VON KÖNIG
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