Scheinbar verliebt
im Moment eine schwere Zeit durch?“
Ja, eine Scheinverlobung. Sonst noch was?
„Jetzt ist nicht die Zeit aufzugeben. Satan will, dass ihr davonlauft. Aber der Herr sagt euch, dass ihr euren Problemen erhobenen Hauptes begegnen sollt, wie der junge David es mit Goliath getan hat. Gott war auf seiner Seite. Gott ist auch auf unserer Seite. Er ist unsere Zuflucht und unsere Verteidigung. Alle, die den Stürmen des Lebens mutig begegnen, werden sie auch überstehen.“
Das einschläfernde Geräusch der Ventilatoren an der Decke ließ Lucys Gedanken abschweifen und sie dachte an ihre Jahre in Charleston. Sie kamen ihr vor wie ein Theaterstück in zwei Akten. Da waren die schrecklichen Jahre ihrer Kindheit, in denen sie gezwungen gewesen war, das Privatcollege zu besuchen. Ihre Mutter war gestorben. Dann kam der zweite Akt, der vor drei Jahren begonnen hatte, als sie hierher zurückgekommen war, um sich selbst und der Stadt zu beweisen, dass mehr in ihr steckte, als alle geglaubt hatten. Doch alles, was sie bisher gezeigt hatte, war, dass sie keine wohltätige Einrichtung leiten konnte.
Und jetzt die Entwicklungen der letzten Tage. Wenn Clare recht hatte, hatte ihre Mutter sie angelogen. Und niemals vorgehabt, ihr die Wahrheit zu sagen. Clares Geschichte klang zwar unglaublich, doch es gab in der Tat Lücken in der Story ihrer Mutter, die Fragen aufwarfen.
„Was beschäftigt euch heute? Was lässt euch nachts nicht schlafen?“ Chuck ging vor dem Altar auf und ab. „Seid ihr bereit, Gott als Sieger über all das anzuerkennen? Ihm alle eure Ängste, Sorgen und eure Vergangenheit zu übergeben? Und sie einfach loszulassen? Lebt nicht einen Tag länger in Angst. Lasst Gott euer Leben frei machen.“ Nicht einmal die kleinen Kinder in den ersten Reihen gaben einen Laut von sich, während Chuck nun wieder seinen Blick schweifen ließ. „Lasst uns beten.“
Als Lucy ihren Kopf beugte, konnte sie einen Blick auf den Zettel in Alex’ Schoß werfen. Der Name seines Bruders stand in großen Lettern ganz oben. Darunter in Stichworten Dinge, die ihn in Zusammenhang mit seinem Bruder beschäftigen mussten. In einer anderen Spalte standen wichtige Stichworte aus Chucks Predigt.
Herr, ich bitte dich für Alex. Hilf ihm, bei der Trauer um seinen Bruder und bei seiner Kampagne. Und Vater, gib mir Antworten. Ich muss wissen, ob alles, was ich über meinen Vater gedacht habe, eine große Lüge war. Ich habe im Moment keinen großen Anspruch, wenn es um Wahrheit und Ehrlichkeit geht, aber ich bitte dich trotzdem darum. Und Gott, ich bitte dich auch um die Stärke, die es braucht, um Alex’ Verlobte zu sein. Ich habe keine Lust mehr, der ewige Schwächling zu sein.
Zumindest für heute.
Als Chuck Amen sagte, übernahm der Chor und begleitete die Gemeinde mit seinem Gesang nach draußen. Alex legte seine warme Hand in Lucys Rücken, als er neben ihr herging.
„Guter Gottesdienst.“ Er schüttelte Chucks Hand.
„Danke, Mann. Kommen Sie bald mal wieder.“ Chuck senkte seine Stimme. „Aber wenn Sie Lucy wehtun, wäre es mir eine Ehre, Ihre Kniescheiben zu zertrümmern.“
Alex hatte mehr Muskeln in seinem linken Oberarm als Chuck in seinem gesamten Körper, trotzdem nickte er langsam. „Ich würde nichts anderes erwarten.“
„Alex, kann ich ein Autogramm haben?“ Mrs Bakers zehnjähriger Sohn stand mit einem Stift und einem Block vor ihnen. Fünf seiner Freunde standen ehrfürchtig hinter ihm, als hätten sie einen König vor sich.
„Klar, Jungs.“ Er warf Lucy ein schiefes Grinsen zu und signierte zwei Kirchenblättchen, eine Kappe, zwei Notizbücher und ein Kaugummipapier.
Er kritzelte nicht einfach schnell seinen Namen hin, sondern fragte jeden Jungen nach seinen Hobbys und redete freundlich mit ihnen. Er gab ihnen allen das Gefühl, wichtig zu sein. Als wären sie die Stars und nicht er. Lucy bemerkte, wie sie lächeln musste.
Er sollte nicht charmant sein. Er sollte nicht intelligent und witzig sein und nett zu kleinen Jungs, die ihn anhimmelten. Sag etwas Arrogantes. Lehn es ab, ein Foto mit ihnen zu machen. Lucy erkannte mehr und mehr von Alex’ Herz. Und das machte sie nervös. Nein, sie würde sich von ihm nicht um den Finger wickeln lassen. Nicht heute und auch an keinem anderen Tag. In den letzten beiden Tagen hatte sie ihre Zeit mit ihm genossen. Und das durfte nicht sein.
„Lucy, ich sehe ein paar Leute, mit denen ich reden möchte“, sagte Alex. „Gibst du mir zehn Minuten? Dann würde ich dich
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