Scheinbar verliebt
„Ich muss mich … hinsetzen.“
Sie hielt ihren Arm hoch und beobachtete wie das Blut weiterhin in einem dünnen Rinnsal ihre Hand hinunterlief. Der Boden begann unter ihr zu schwanken.
Und dann wurde sie ohnmächtig.
* * *
Gut, vielleicht hatte er die Beherrschung verloren. Und vielleicht hatte er heute Morgen bei Lucy eine Grenze überschritten, die er nicht hätte überschreiten sollen. Aber er würde jederzeit lieber ein Macho sein als eines dieser Weicheier, die einen Macchiato mit Sojamilch tranken und von ihren Gefühlen schwafelten. Glaubte Lucy etwa, dass es ein Zufall war, dass er für ein Team gespielt hatte, das Warriors – Kämpfer – hieß? Er war kein Schoßhund. Kein süßer Delfin. Kein Heiliger. Nein, er war ein Kämpfer. Und momentan war er ein sehr böser Kämpfer. Er versuchte bereits seit einer Stunde, sie zu erreichen, aber sie ignorierte ihn einfach. Es war ihm nur gelungen, immer wieder ihre Mailboxansage zu hören, die ihn an ihre strahlenden Augen und vollen Lippen denken ließ.
Zuerst bemerkte er die schlaksige Gestalt eines Fotografen neben dem Magnolienbaum in Lucys Garten. Dann sah er einen zweiten Mann, der sich in der Mülltonne zu schaffen machte.
„Ich glaube nicht, dass Sie dort finden, was Sie suchen.“ Alex hatte die Hände zu Fäusten geballt, als er hinter den Mann getreten war, der sich durch Kaffeesatz und Bananenschalen wühlte.
Der Mann fuhr erschrocken zusammen und wandte sich um. „Ich, ähm … ich wollte nur –“
„Die Mülltonne gehört den älteren Nachbarn hier“, sagte Alex durch zusammengepresste Zähne.
Der Mann versuchte erst gar nicht, sich weiter herauszureden, sondern nahm die Beine in die Hand und verschwand auf dem gleichen Weg, den sein Kumpan schon vorher genommen hatte.
Es war eine Sache, einen vielversprechenden politischen Kandidaten zu verfolgen, doch Lucy nachzustellen, das war wirklich das Letzte, dachte Alex, während er über den Rasen auf die Haustür zuschritt. War es nicht genug, dass Bilder von ihnen beiden jeden Tag in der Zeitung zu sehen waren? Mussten sie auch noch in Lucys Privatleben herumschnüffeln? Alex wollte nicht, dass Lucy wehgetan wurde. Er selbst war es gewöhnt, in diesem Haifischbecken zu überleben. Sie aber war dafür nicht gemacht.
Er klopfte laut an die Tür und wartete. Die Frau im Mädchenheim hatte Alex gesagt, dass Lucy zu Hause arbeiten wollte, aber sie rührte sich nicht. Vorsichtig drehte er den Türknauf und die Tür schwang auf. Alex wunderte sich, denn Lucy hatte ihm gesagt, dass sie die Tür immer abschloss, auch wenn sie zu Hause war.
„Lucy?“ Er trat ein und seine Schuhe schmatzten auf dem Teppich. Ein modriger, feuchter Geruch lag in der Luft.
Dann sah er sie.
Sie lag mit blutverschmiertem Arm auf dem Boden, das Gesicht leichenblass. Herr, hilf mir!
„Lucy!“ Er rannte zu ihr und ließ sich an ihrer Seite auf die Knie fallen. „Was ist passiert?“ Konnte sie ihn überhaupt hören?
Ihre Lider flatterten. „Meine Hand.“ Sie hörte sich an, als hätte sie auf dem Heimweg einen ganzen Kasten Bier getrunken. „Ich kann kein Blut sehen.“ Lucy richtete sich etwas auf und lehnte sich gegen ihn. „Mir geht’s ziemlich schlecht.“
„Okay.“ Sein Herzschlag verlangsamte sich immerhin so viel, dass er wieder logisch denken konnte. „Lass mich deine Hand ansehen.“
Sie wandte den Kopf ab und streckte sie ihm entgegen. „Zuerst war hier alles überschwemmt, dann war plötzlich alles dunkel.“ Ihr hysterisches Kichern war nicht im Mindesten lustig. „Ich hab mein Lieblingsteeglas zerbrochen. Es war vom Flohmarkt.“
Sie versuchte, sich hinzusetzen, doch Alex hinderte sie daran. „Vergiss es.“ Er untersuchte den Schnitt, dann zog er seinen Schlips aus und wickelte ihn fest um ihre Hand. „Bist du noch irgendwo verletzt?“
„Nein.“
„Du bist überall mit Blut verschmiert.“
Sie presste die Augenlider zu. „Ein Gentleman würde nicht immer wieder darauf hinweisen.“
„Leider ist gerade keiner da.“
„Ich war eine Weile ohnmächtig, denke ich.“ Ihre Haut war immer noch bleich. „Vielleicht ist meine blutige Hand auf mein Gesicht gefallen. Oh je, der Teppich!“ Sie warf einen Blick auf den Boden. „Das ist jetzt auch schon egal. Der ist sowieso hin. Meine dumme Nachbarin. Jetzt werde ich ihre Avon-Produkte ganz bestimmt nicht mehr kaufen.“
Alex machte sich zunehmend Sorgen um Lucys Geisteszustand. „Ich glaube, ich muss dich ins Krankenhaus
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