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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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war. Zwei Faktoren, die bei der Feststellung des Todes zu Unklarheiten führen können. Hätte man das nicht berücksichtigen müssen?«
    »Es – ja, das ist etwas, was man eigentlich berücksichtigen müsste.«
    »Was aber weder der Detective der Staatspolizei noch die Feuerwehr Weymouth getan haben. Und das klingt doch sehr nach einem Fehler.«
    »Es kann passieren. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    »Haben Sie selbst jemals diesen Fehler gemacht, Dr. Isles? Jemanden für tot erklärt, der noch am Leben war?«
    Sie schwieg und dachte an ihr praktisches Jahr im Krankenhaus zurück, das sie vor Jahren absolviert hatte. An eine gewisse Nacht, als sie auf der Inneren Bereitschaftsdienst gehabt hatte und das Läuten des Telefons sie aus dem Tiefschlaf gerissen hatte. Die Patientin in Bett 336A war soeben verstorben. Ob die Assistenzärztin wohl kommen und die Frau für tot erklären könne? Auf dem Weg zum Zimmer der Patientin hatten Maura keine unguten Vorahnungen geplagt, keinerlei Zweifel an ihren Fähigkeiten. Im Medizinstudium hatten sie keine speziellen Vorlesungen zur Feststellung des Todes gehabt; man ging wie selbstverständlich davon aus, dass jeder eine Leiche erkennen würde, wenn er sie sah. In dieser Nacht war sie durch die Krankenhausflure gegangen und hatte gedacht, dass sie den kleinen Job mit links erledigen und sich gleich wieder hinlegen würde. Der Tod war nicht unerwartet eingetreten; die Patientin hatte an Krebs im Endstadium gelitten, und auf ihrem Krankenblatt stand die eindeutige Anweisung K.R. Keine Reanimation.
    Als sie Zimmer 336 betrat, stellte sie überrascht fest, dass das Bett von weinenden Angehörigen umringt war, die sich versammelt hatten, um Abschied zu nehmen. Maura hatte ein Publikum. Es war nicht mehr die stumme Zwiesprache mit der Verstorbenen, auf die sie sich eingestellt hatte. Stattdessen war ihr unangenehm bewusst, dass alle Augen auf ihr ruhten, als sie sich für die Störung entschuldigte und an das Bett trat. Die Patientin lag auf dem Rücken, ihre Züge waren entspannt. Maura nahm ihr Stethoskop aus der Tasche, schob die Membran unter den Krankenhauskittel der Patientin und legte sie auf die eingefallene Brust. Als sie sich über den Körper beugte, spürte sie, wie die Verwandten der Frau näher rückten, spürte das erdrückende Gewicht ihrer Aufmerksamkeit. Sie horchte nicht so lange, wie sie es hätte tun sollen. Die Krankenschwestern hatten bereits den Tod der Frau festgestellt; nur um den Vorschriften Genüge zu tun, wurde noch die Bereitschaftsärztin hinzugezogen, um sie offiziell für tot zu erklären. Ein Vermerk in der Patientenakte, unterschrieben von einem Arzt oder einer Ärztin, mehr war nicht nötig; danach konnte die Verstorbene in die Leichenhalle gebracht werden. Über die Brust der Frau gebeugt, im Ohr nichts als Totenstille, konnte es Maura kaum erwarten, dem Raum den Rücken zu kehren. Sie richtete sich auf, setzte eine angemessen mitfühlende Miene auf und wandte sich an den Mann, den sie für den Ehemann der Patientin hielt. Sie wollte gerade flüstern:
Es tut mir sehr Leid, aber Ihre Frau ist tot.
    Da ließ der Hauch eines Atemzugs sie innehalten.
    Erschrocken blickte sie nach unten und sah, dass die Brust der Patientin sich bewegte. Sah, wie sie noch einen Atemzug tat und sich dann nicht mehr rührte. Es war das typische Atemmuster einer Sterbenden – nicht etwa ein Wunder, nur die letzten Impulse des Gehirns, die letzten Zuckungen des Zwerchfells. Die im Zimmer versammelten Familienmitglieder hielten erschrocken die Luft an.
    »O mein Gott«, sagte der Ehemann. »Sie ist noch nicht tot.«
    »Es … es wird nicht mehr lange dauern«, hatte Maura nur stammeln können. Sie war aus dem Zimmer gegangen, erschüttert von der Erkenntnis, wie nahe sie daran gewesen war, einen Kunstfehler zu begehen. Seitdem hatte sie die Aufgabe, einen Menschen für tot zu erklären, nie wieder so auf die leichte Schulter genommen.
    Sie sah den Journalisten an. »Jeder Mensch macht Fehler«, sagte sie. »Selbst etwas so Grundlegendes wie die Feststellung des Todes ist nicht so leicht, wie Sie vielleicht denken.«
    »Sie nehmen also die Feuerwehrleute in Schutz? Und die Staatspolizei?«
    »Ich sage nur, dass Fehler nun einmal geschehen. Das ist alles.« Und Gott weiß, dass ich auch schon den einen oder anderen gemacht habe. »Ich kann mir vorstellen, wie es passiert sein könnte. Die Frau wurde in kaltem Wasser gefunden. Sie hatte Barbiturate im Blut. Diese

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