Scheintot
Faktoren können den Anschein des Todes hervorrufen. Unter diesen Umständen ist eine Fehldiagnose nicht so abwegig. Die beteiligten Personen haben lediglich versucht, ihre Arbeit so gut wie möglich zu machen, und ich hoffe, Sie werden sie fair behandeln, wenn Sie Ihren Artikel schreiben.« Sie stand auf, ein Zeichen, dass das Interview beendet war.
»Ich versuche immer, fair zu sein«, sagte er.
»Das kann nicht jeder Journalist von sich behaupten.«
Auch er stand nun auf und blickte sie über den Schreibtisch hinweg an. »Sagen Sie mir, ob ich mit meinem Anspruch gescheitert bin.
Nachdem
Sie meine Kolumne gelesen haben.«
Sie begleitete ihn zur Tür und sah ihm nach, als er an Louises Schreibtisch vorbeiging und das Büro verließ.
Louise blickte von ihrer Computertastatur auf. »Wie ist es gelaufen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht hätte ich nicht mit ihm reden sollen.«
»Das werden wir früh genug herausfinden«, meinte Louise und wandte sich wieder dem Monitor zu. »Wenn sein Artikel in der
Tribune
erschienen ist.«
5
Jane konnte nicht sagen, ob die Neuigkeiten gut oder schlecht waren.
Dr. Stephanie Tam beugte sich vor. um mit dem Doppler-Stethoskop zu horchen, und dabei fiel ihr glattes schwarzes Haar ihr ins Gesicht, so dass Jane ihre Miene nicht lesen konnte. Während sie flach auf dem Rücken lag, sah Jane zu, wie der Schallkopf über ihren gewölbten Bauch glitt. Dr. Tam hatte schöne, schmale Hände, Chirurginnenhände, und sie führte das Gerät mit dem gleichen Feingefühl, mit dem eine Harfenistin die Saiten zupft. Plötzlich hielt die Hand inne, und Dr. Tam senkte den Kopf in höchster Konzentration noch weiter herab. Janes Blick ging zu Gabriel, ihrem Mann, der direkt neben ihr saß, und in seinen Augen las sie die gleiche Sorge.
Ist mit unserem Baby alles in Ordnung?
Endlich richtete Dr. Tam sich auf und sah Jane ruhig lächelnd an. »Hören Sie mal selbst«, sagte sie und drehte den Ton des Ultraschallgeräts lauter.
Ein rhythmisch pulsierendes Rauschen drang aus dem Lautsprecher, ebenso regelmäßig wie kräftig.
»Das sind starke fetale Herztöne«, sagte Tam.
»Dann ist mit meinem Baby also alles in Ordnung?«
»So weit geht’s ihm prima.«
»So weit? Was soll das heißen?«
»Nun ja, es kann nicht mehr sehr viel länger da drin bleiben.« Dr. Tam rollte das Stethoskop zusammen. »Wenn die Fruchtblase erst einmal geplatzt ist, setzen die Wehen normalerweise von selbst ein.«
»Aber bei mir passiert nichts. Ich spüre nichts von Wehen.«
»Genau. Ihr Baby will einfach nicht mitmachen. Ist ein ganz schöner Trotzkopf, den Sie da drinhaben, Jane.«
Gabriel seufzte. »Ganz die Mama. Die muss sich ja auch noch bis zur letzten Minute mit Kriminellen rumprügeln. Würden Sie bitte meiner Frau sagen, dass sie jetzt offiziell in Mutterschaftsurlaub ist?«
»Sie sind jetzt definitiv nicht mehr im Dienst«, sagte Tam. »Ich gehe mit Ihnen runter in die Sonografie, damit wir da drin noch mal nachschauen können, und dann ist es wohl an der Zeit, die Wehen einzuleiten.«
»Werden sie nicht von selbst einsetzen?«, fragte Jane.
»Das Fruchtwasser ist abgegangen. Damit sind Sie und das Baby nicht mehr ausreichend vor Infektionen geschützt. Es sind jetzt zwei Stunden vergangen, ohne dass die Wehen eingesetzt hätten. Da wird’s allmählich Zeit, dem Baby ein bisschen auf die Sprünge zu helfen.« Tam ging zügig in Richtung Tür. »Man wird Ihnen einen intravenösen Zugang legen. Ich frage gleich in der Bilddiagnostik nach, ob sie Sie rasch einschieben können, um eine Aufnahme zu machen. Und dann müssen wir das Baby irgendwie da rauskriegen, damit Sie endlich Mama werden können.«
»Das geht alles so schnell.«
Dr. Tam lachte. »Sie hatten neun Monate Zeit, darüber nachzudenken. Da dürfte das jetzt doch keine allzu große Überraschung mehr sein«, sagte sie und ging hinaus.
Jane starrte zur Decke hinauf. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dafür bereit bin.«
Gabriel drückte ihre Hand. »Ich bin schon sehr lange bereit dafür. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.« Er hob ihren Krankenhauskittel an und legte das Ohr auf ihren nackten Bauch. »Hallo, Baby, hörst du mich da drin?«, rief er. »Dein Papa wird allmählich ungeduldig, also stell dich nicht so an!«
»Aua. Du hast dich heute Morgen wohl nicht besonders gründlich rasiert.«
»Dann mach ich’s halt noch mal, extra für dich.« Er richtete sich auf, und ihre Blicke trafen sich. »Das habe ich vorhin ernst
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