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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Achseln. »In meinem Job muss ich mir noch viel schlimmere Beschimpfungen anhören.« Ach ja, habe ich schon erwähnt, dass die manchmal von Kugeln begleitet werden? Sie blickte starr geradeaus, beobachtete die wechselnde Stockwerksanzeige und vermied jeglichen Blickkontakt mit Mr. Bodine.
    »Es gibt einfach zu viele Leute auf dieser Welt, die sich nicht um ihren eigenen Kram kümmern können«, meinte der alte Mann. »Müssen ihre Nase überall reinstecken und einen ständig anglotzen.«
    »Aber Mr. Bodine«, sagte der Pfleger, »kein Mensch glotzt Sie an.«
    »Aber die da hat geglotzt.«
    Kein Wunder, dass sie dich angebunden haben, du alter Spinner, dachte Jane.
    Im Erdgeschoss öffnete sich die Fahrstuhltür, und die Helferin schob Jane hinaus. Während sie über den Flur in Richtung Bilddiagnostik fuhren, konnte sie die Blicke der Passanten spüren. Gesunde Menschen, die auf ihren eigenen zwei Beinen gehen konnten und die gebrechliche Frau mit dem dicken Bauch und dem kleinen Krankenhausarmband aus Plastik neugierig beäugten. Geht das eigentlich jedem so, der an einen Rollstuhl gefesselt ist?, fragte sie sich. Dass man ständig diesen mitleidigen Blicken ausgesetzt ist?
    Hinter sich hörte sie eine bekannte Stimme in gereiztem Tonfall fragen: »Was glotzen Sie denn so, Mister?«
    Oh, bitte, dachte sie. Hoffentlich ist Mr. Bodine nicht auch auf dem Weg in die Bilddiagnostik. Aber sein Gegrummel folgte ihnen, bis sie am Ende des Flurs angelangt waren und um die Ecke in den Empfangsbereich bogen.
    Die Helferin parkte Jane im Wartezimmer und ließ sie dort stehen, direkt neben dem alten Mann. Schau ihn nicht an, dachte sie. Schau gar nicht erst in seine Richtung.
    »Was ist, sind Sie sich vielleicht zu fein, um mit mir zu reden?«, fauchte er.
    Tu so, als wär er gar nicht da.
    »Ha. Jetzt tun Sie also so, als wär ich gar nicht da.«
    Sie blickte erleichtert auf, als eine Tür aufging und eine Ultraschallassistentin in blauem Kittel und blauer Hose ins Wartezimmer trat. »Jane Rizzoli?«
    »Das bin ich.«
    »Dr. Tam wird in ein paar Minuten hier unten sein. Ich bringe Sie schon mal rein.«
    »Und was ist mit mir?«, greinte der alte Mann.
    »Wir sind noch nicht so weit, Mr. Bodine«, sagte die Frau, während sie Janes Rollstuhl wendete und durch die Tür lenkte. »Sie müssen sich noch ein wenig gedulden.«
    »Aber ich muss pissen, verdammt noch mal.«
    »Ja, ja, ich weiß.«
    »Gar nichts wissen Sie.«
    »Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, mit Ihnen zu diskutieren«, murmelte die Frau halblaut, während sie Janes Rollstuhl den Flur entlangschob.
    »Ich pinkel Ihnen gleich den Teppich voll!«, kreischte der Alte.
    »Ist wohl einer Ihrer Lieblingspatienten?«, fragte Jane.
    »O ja.« Die Assistentin seufzte. »Wir lieben ihn alle heiß und innig.«
    »Glauben Sie wirklich, dass er pinkeln muss?«
    »Das muss er ständig. Seine Prostata ist so groß wie meine Faust, und er lässt einfach keinen Chirurgen ran.«
    Die Frau schob Jane in einen Untersuchungsraum und fixierte die Räder des Rollstuhls. »Ich helfe Ihnen auf die Liege.«
    »Ich komme schon allein klar.«
    »Schätzchen, mit dem Riesenbauch da könnten Sie wirklich ein bisschen Hilfe gebrauchen.« Die Frau packte Jane am Arm und hievte sie aus dem Stuhl. Sie blieb neben Jane stehen, als diese auf den Fußschemel stieg und sich von dort auf die Untersuchungsliege schwang. »So, und jetzt entspannen Sie sich einfach, okay?«, sagte sie und hängte Janes Infusionsbeutel um. »Sobald Dr. Tam da ist, machen wir Ihr Sonogramm.« Die Frau ging hinaus und ließ Jane allein im Raum zurück. Hier gab es nichts zu sehen außer den technischen Geräten. Keine Fenster, keine Poster an den Wänden, keine Zeitschriften. Nicht einmal eine langweilige alte Nummer des
Golfmagazins.
    Jane machte es sich auf der Liege so bequem wie möglich und starrte an die kahle Decke. Sie legte die Hände auf die Rundung ihres Bauchs und wartete auf den vertrauten Stoß eines winzigen Fußes oder Ellbogens, doch sie spürte nichts. Komm schon, Baby, dachte sie. Sprich mit mir. Sag mir, dass alles in Ordnung ist mit dir.
    Kalte Luft wehte aus den Lüftungsschlitzen der Klimaanlage, und sie fröstelte in ihrem dünnen Krankenhaushemdchen. Sie wollte auf ihre Armbanduhr schauen, doch ihr Blick blieb stattdessen an dem Plastikband an ihrem Handgelenk hängen. Name des Patienten/der Patientin: Rizzoli, Jane.
Patient,
das kommt von »dulden«, oder? Na, diese Patientin hier ist

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