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Scheintot

Scheintot

Titel: Scheintot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Schrittes den Flur entlang. Die flachen Absätze ihrer eher zweckmäßigen als modischen Schuhe klickten auf dem dunklen Eichenparkett, während sie eine Reihe von Gemälden an der Wand passierten: ein gestrenger Patriarch, der an seinem Schreibpult posierte; ein Mann in der gepuderten Perücke und der schwarzen Robe eines Richters; ein dritter, der vor einem kunstvoll drapierten grünen Samtvorhang stand. In diesem Korridor konnte Conway seine noble Ahnengalerie bedenkenlos zur Schau stellen, anders als in seinem Stadthaus in Georgetown, wo »blaues Blut« für einen Politiker eher eine Belastung war.
    Die Frau klopfte diskret an eine Tür und steckte dann den Kopf ins Zimmer. »Agent Dean ist da.«
    »Danke sehr, Jillian.«
    Gabriel trat ins Zimmer, worauf die Tür sich lautlos hinter ihm schloss. Sofort kam der Senator hinter seinem massiven Kirschholzschreibtisch hervor, um ihn zu begrüßen. Obwohl schon über sechzig, bewegte sich der silberhaarige Conway noch immer mit der kraftvollen Geschmeidigkeit eines Marines, und als er Gabriel die Hand schüttelte, war es die markige Begrüßung von zwei Männern, die beide Kampfeinsätze mitgemacht hatten und einander deswegen respektierten.
    »Wie kommen Sie klar?«, fragte Conway mit leiser Stimme.
    Die Frage nach seinem Befinden, so behutsam formuliert, trieb Gabriel unerwartete Tränen in die Augen. Er räusperte sich. »Um ehrlich zu sein«, gestand er, »ich muss mir große Mühe geben, um nicht den Verstand zu verlieren.«
    »Wie ich höre, wurde sie heute Morgen ins Krankenhaus eingeliefert.«
    »Der Geburtstermin war eigentlich schon letzte Woche. Heute Morgen ist ihre Fruchtblase geplatzt, und …« Er brach ab und errötete. Wenn zwei alte Kämpen sich unterhielten, kamen so intime anatomische Details ihrer Ehefrauen eher selten zur Sprache.
    »Dann müssen wir sie eben da rausholen. Und zwar so bald wie möglich.«
    »Ja, Sir.«
Nicht nur bald. Sondern auch lebend.
»Ich hoffe, Sie können mir sagen, was da wirklich läuft. Das Boston PD hat jedenfalls keinen blassen Schimmer.«
    »Sie haben mir im Lauf der Jahre schon so manchen Dienst erwiesen, Agent Dean. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, das verspreche ich Ihnen.« Er drehte sich um und deutete auf die gemütliche Sitzgruppe vor dem gewaltigen gemauerten Kamin. »Vielleicht kann Mr. Silver Ihnen ja helfen.«
    Nun erst fiel Gabriels Blick auf den Mann, der so still in einem der Ledersessel saß, dass man ihn glatt hätte übersehen können. Der Mann stand auf, und Gabriel stellte fest, dass er ungewöhnlich groß war; mit dunklem Haar, Stirnglatze und sanften Augen, die hinter einer Professorenbrille hervorschauten.
    »Ich glaube, Sie beide kennen sich noch nicht«, sagte Conway. »Das ist David Silver, der stellvertretende DNI. Er kommt direkt aus Washington.«
    Das ist ja eine Überraschung, dachte Gabriel, als er David Silver die Hand schüttelte. Der DNI oder
Director of National Intelligence
war der Leiter einer hohen Regierungsbehörde, der sämtliche Nachrichtendienste des Landes unterstellt waren, vom FBI über den Militärgeheimdienst bis hin zur CIA. Und David Silver war der Stellvertreter des gegenwärtigen Amtsinhabers.
    »Als wir von der Situation erfuhren, hat Direktor Wynne mich sofort gebeten, nach Boston zu fliegen. Das Weiße Haus glaubt nicht, dass es sich hier um eine gewöhnliche Geiselnahme handelt.«
    »Was immer man heutzutage unter
gewöhnlich
verstehen mag«, fügte Conway hinzu.
    »Wir stehen schon in ständiger Verbindung mit dem Büro des Polizeipräsidenten«, sagte Silver. »Wir verfolgen die Ermittlungen des Boston PD sehr genau. Aber Senator Conway sagte mir, Sie hätten zusätzliche Informationen, die Auswirkungen auf unsere Strategie in diesem Fall haben könnten.«
    Conway deutete auf die Couch. »Setzen wir uns doch. Wir haben eine Menge zu bereden.«
    »Sie sagten, Sie glauben nicht, dass es sich hier um eine gewöhnliche Geiselnahme handelt«, sagte Gabriel, indem er auf der Couch Platz nahm. »Das glaube ich auch nicht. Und zwar nicht nur deshalb, weil meine Frau betroffen ist.«
    »Inwiefern kommt Ihnen diese Situation anders vor?«
    »Abgesehen von der Tatsache, dass die erste Geiselnehmerin eine Frau ist? Und dass sie einen bewaffneten Komplizen hat, der sich zu ihr gesellt hat? Abgesehen von der Tatsache, dass die Frau über Radio einen Satz verbreitet hat, bei dem es sich um einen Aktivierungscode zu handeln schien?«
    »All dies hat Direktor

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