Schenk mir diese Nacht
Vaters sehr bemüht. Gaye hatte alle Briefe, Karten und Blumengrüße beantwortet, es war ihr jedoch unendlich schwer gefallen, Anrufe entgegenzunehmen und Besucher zu
empfangen. Insbesondere dann, als es im Lauf der Wochen und Monate immer deutlicher wurde, dass ihre Mutter zwar von den physischen Verletzungen genesen war, die sie bei dem Unfall erlitten hatte, aber psychisch in einer Art Zeitfalle gefangen war, in der ihr Ehemann Terence Royal noch immer lebte.
Es kamen immer weniger Besucher, und auch die Anrufe wurden seltener, als sich herauskristallisierte, dass Marilyn so bald nicht wieder arbeiten würde - falls überhaupt. Inzwischen lebten die beiden Frauen völlig zurückgezogen, und Gaye beschützte ihre Mutter in jeder Hinsicht, was auch bedeutete, dass sie fast ihre gesamte Zeit bei ihr verbrachte. Geld war kein Problem, da ihre Eltern während ihrer Karriere ein Vermögen angehäuft hatten. Lediglich die Isolation war zunehmend schwerer zu verkraften. Schließlich empfahlen die Ärzte Gaye, wieder arbeiten zu gehen und eine Haushälterin zu engagieren, die sich tagsüber um Marilyn kümmerte. Obwohl Gaye über diese Lösung nicht unbedingt glücklich war und sich ständig um ihre Mutter sorgte, hatten sie sich in den vergangenen sechs Monaten recht gut arrangiert.
Bis heute. Am ersten Abend, den Gaye getrennt von ihrer Mutter verbracht hatte, war Richard Craven wieder in ihr Leben geplatzt. Er hatte zwar im Pub einen Rückzieher gemacht vermutlich wegen Jonathan -, aber so wie Gaye Richard von früher kannte, würde er zurückkommen. Er verfolgte offenbar irgendeinen Plan und würde nicht so leicht aufgeben.
"Warum bist du so an uns interessiert, Jonathan?" fragte sie unvermittelt.
Er presste die Lippen zusammen. "Jetzt wirst du beleidigend, Gaye."
"Das war nicht meine Absicht", versicherte sie. "Möchtest du noch Kaffee?"
"Gern." Er reichte ihr die Tasse. "Du magst es vielleicht nicht so gemeint haben", sein Tonfall verriet, dass er daran zweifelte,
"aber trotzdem hast du mich beleidigt. Ich bin jetzt genau wie du in die Sache verwickelt."
Sie sah ihn mit großen grünen Augen an. "Warum?"
Ungeduldig begann er, im Zimmer auf und ab zu gehen. "Soll ich etwa einfach verschwinden, nachdem ich erfahren habe, dass..."
"... dass meine Mutter Marilyn Palmer ist", beendete sie den Satz für ihn und schüttelte spöttisch den Kopf,
"Wer deine Mutter ist, hat damit absolut nichts zu tun", entgegnete er barsch.
"O doch, das hat es", widersprach sie und nahm wieder Platz.
So war es ihr ganzes Leben lang gewesen. Erst auf der Schule, dann während der Ausbildung zur Krankenschwester, in der Klinik, wo sie ihre erste Stellung angetreten hatte - überall hatten die Menschen angesichts der Tatsache, dass ihre Eltern Marilyn Pakner und Terence Royal waren, zuerst erstaunt und dann neugierig reagiert. Die meisten hatten sich gefragt, warum die Tochter so berühmter und offensichtlich reicher
Persönlichkeiten überhaupt arbeitete - und noch dazu in einem so anstrengenden Beruf. Niemand wollte glauben, dass Gaye einfach nichts von dem schauspielerischen Talent ihrer Eltern geerbt hatte.
"Du wärst nicht der erste junge Mann, der sich in meine Mutter verliebt hätte", meinte Gaye trocken. Seit sie erwachsen war, hatte sie dies immer wieder erlebt. Da sie ihre Mutter jedoch für eine ebenso schöne wie liebenswerte Frau hielt, konnte sie Marilyns Verehrer durchaus verstehen.
"Ich bin nicht..." Jonathan verstummte und sah Gaye versonnen an. "Zugegeben, ich habe sie als Teenager bewundert und sogar ein bisschen von ihr geträumt, aber diese
Schwärmerei fand ein jähes Ende, als ich sechzehn wurde. Mein Vater machte damals bankrott, und meine Mutter verließ uns.
Danach fehlte es einfach am Geld für Kino und Theater, ganz zu schweigen von der Zeit oder dem Interesse. Wer deine Mutter ist, hat nichts mit meinem Engagement zu tun", beharrte er.
Sie achtete kaum auf seine letzten Worte. Jonathan hatte zwar schon vorher erwähnt, dass er keine Ahnung vom Aufenthaltsort seiner Mutter habe, doch sie hätte sich nie träumen lassen, unter welchen Umständen die Frau ihre Familie verlassen hatte. Gaye hatte angenommen, die Hunters wären schon immer reich gewesen, und Jonathan hätte das Leben eines verwöhnten Playboys geführt. Sie hatte sich getäuscht...
"Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, Jonathan. Wirklich", beteuerte sie, als sie seinen ungläubigen Gesichtsausdruck bemerkte. "Aber mir ist nicht
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