Schenk mir nur eine Nacht
zusammengeschlagen und mitgenommen.
Angeblich hatte er junge Dissidenten in seinem Auto transportiert. Von Eduardo hatte man seitdem nichts mehr gehört, er war einer von denen, deren Verschwinden und Tod nie aufgeklärt wurde.
In Buenos Aires hatte Shontelle die friedlichen
Demonstrationen der Mai-Mütter miterlebt. Während der Militärdiktatur hatten die unerschrockenen Frauen und Mütter der verschwundenen Männer und Söhne jeden Donnerstag auf der Plaza de Mayo Auskunft über das Schicksal ihrer Angehörigen verlangt. Sie demonstrierten nach dem Ende der Militärdiktatur weiter, weil sie auch nach so vielen Jahren nicht wussten, was aus ihren Angehörigen geworden war.
Shontelle erbebte. Könnte so etwas auch hier in Bolivien passieren? Nein, bestimmt nicht, beruhigte sie sich sogleich.
Wenn man Luis einsperrte, hätte Elvira Rosa Martinez genug Macht und Einfluss, ihn herauszuholen.
Aber wenn man Luis keine Gelegenheit geben würde, sich auszuweisen? Vielleicht würde, einer der schießwütigen Soldaten einfach abdrücken?
"Er ist da!" ertönte auf einmal Alans Stimme, und vor lauter Erleichterung bekam Shontelle weiche Knie.
"Kommen Sie mit nach draußen", forderte Alan die Leute auf. "Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe. Die Frauen steigen sofort in den Bus, während die Männer das Gepäck verstauen. Beeilen Sie sich bitte."
Alle gerieten in Bewegung. Dreißig Leute strebten mit ihren Taschen und Koffern dem Ausgang zu und redeten aufgeregt durcheinander. Shontelle blieb hinter ihnen zurück und vergewisserte sich, dass niemand etwas vergessen hatte. Dann sah sie, wie der Bus rückwärts vor den Eingang gefahren wurde
- und dass Luis auf dem Fahrersitz saß.
Er ist in Sicherheit, dachte sie erleichtert. Von hier aus konnte er zum Plaza gehen, es war nicht mehr gefährlich. Als er den Motor abstellte und aufstand, sorgte Alan dafür, dass sogleich das Gepäck verstaut wurde. In wenigen Minuten würde Luis für immer aus ihrem Leben verschwinden.
Bei dem Gedanken wurde ihr das Herz schwer. Eine seltsame Reaktion, die sie selbst nicht verstand, denn nach der vergangenen Nacht müsste es ihr eigentlich egal sein, ob sie sich jemals wieder sahen oder nicht. Doch sie eilte nach draußen, vorbei an den Nachzüglern, um noch einmal in seiner Nähe zu sein.
Luis kam gerade um den Bus herum und bemerkte sie
sogleich. Sekundenlang sahen sie sich in die Augen. Um sie her schien alles aufzuhören zu existieren, und sie hatten das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein. Shontelle glaubte, es würde sie innerlich zerreißen, sich endgültig von ihm trennen zu müssen.
Sie konnte den Schmerz nicht mehr ertragen. Schließlich wandte Luis sich ab und sprach mit Alan.
Sie war völlig aufgewühlt und konnte kaum klar denken. Was hatte Luis' Blick zu bedeuten? Er hatte die Beziehung doch schon längst beendet, es war nichts mehr übrig von dem, was sie einst verbunden hatte.
Dann nahm sie sich zusammen und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Sie sollte die Frauen in den Bus führen, während Alan sich um das Gepäck kümmerte. Shontelle war jedoch nicht bei der Sache, und die Leute stiegen auch ohne sie ein, nicht hastig, aber zügig und geordnet. Immer wieder beobachtete sie Luis, der sich mit Alan offenbar einen heftigen Wortwechsel lieferte. Entschlossen ging sie auf die beiden zu.
"Danke, dass du den Bus gebracht hast, Luis", unterbrach sie das Gespräch.
Alan warf ihr einen seltsam misstrauischen Blick zu. "Er will mit uns fahren."
"Wie bitte? Wieso das denn?" fragte sie verblüfft.
"Er besteht darauf, dass er den Bus selbst fährt", erklärte ihr Bruder angespannt.
"Bis nach Santa Cruz?" Irritiert sah sie Luis an.
"In die Hölle und zurück, wenn es sein muss", antwortete er wild entschlossen.
"Aber warum?" rief sie aus.
Er verzog die Lippen, während es in seinen dunklen Augen spöttisch aufblitzte. "Weil du darin sitzt, Shontelle. Ich bin mit dir noch nicht fertig."
Sie war sprachlos. Es war der helle Wahnsinn. Er versuchte schon wieder, sie an sich zu fesseln, und sie merkte, wie er mit seinem starken Willen ihren Widerstand brechen wollte. Es konnte nicht gut gehen, sie hatten sich gegenseitig viel zu sehr verletzt. Doch auf subtile Art hatte sich seine Einstellung ihr gegenüber verändert, das spürte sie. Jedenfalls behandelte er sie nicht mehr so verächtlich und abweisend wie zuvor.
"Luis ..." begann Alan.
"Es ist mein Bus", unterbrach Luis ihn rücksichtslos. "Deine
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