Schenk mir nur eine Nacht
Luis sollte es der Wendepunkt in seinem Leben werden. Habe ich das etwa bewirkt? fragte sie sich und erbebte.
Nein, wahrscheinlich nicht, ich war nur das auslösende Moment, beantwortete sie sich die Frage selbst. Er war nicht glücklich gewesen, vielleicht schon viele Jahre lang nicht. Sogar die Liebesbeziehung mit ihr hatte er aus der Welt, in der er lebte und die er als zu bedrückend empfand, heraushalten wollen. Sie konnte sich jetzt gut vorstellen, wie verbittert und frustriert er gewesen war, als sie die Beziehung beendete.
Hatte er sie wirklich aufrichtig geliebt? Oder hatte er sie damals nur gebraucht, um sich gegen die beengenden Strukturen, in die man ihn hineinzupressen versuchte, aufzulehnen? Hatte er nur ein Ventil gebraucht für seine Gefühle, die er anders nicht ausdrücken konnte? Hatte er eine Zeit lang den Druck nicht spüren wollen, dem er sowieso nicht entfliehen konnte, jedenfalls damals nicht?
Es gab so viele Seiten an ihm, die sie nicht kannte. Dennoch hatte sie ihn geliebt und tat es immer noch. Ganz spontan streckte sie die Hand aus und drückte seinen Arm.
"Heute bin ich bei dir, Luis. Was auch immer du erreichen willst, ich halte zu dir."
Ehe sie die Hand zurückziehen konnte, griff Luis danach und drückte sie so fest, dass Shontelle das Gefühl hatte, ein Stoß geballter Energie würde ihren ganzen Körper durchdringen.
"Ist das ein Versprechen, Shontelle?" fragte er, und trotz der Dunkelheit sah sie, wie es hoffnungsvoll in seinen Augen aufleuchtete.
Sie erbebte. "Ja", sagte sie leise.
"Dann scheinen für mich heute Nacht die Sonne, der Mond und die Sterne, alle zugleich", antwortete er. Plötzlich warf er den Kopf zurück und fing an, aus vollem Hals fröhlich und unbekümmert zu lachen.
Als Shontelle ihn erstaunt ansah, hob er ihre Hand an die Lippen und drückte einen zärtlichen Kuss darauf. Dann wurde sein Blick wieder ernst.
"Danke. Aber ich werde nicht darauf bestehen, dass du das Versprechen, das alles einschließt, bis ins kleinste Detail einhältst, Shontelle. Du sollst nichts bereuen, und du kannst dich absolut frei entscheiden, was du willst und was für dich richtig ist."
Ich soll mich frei entscheiden, wiederholte sie in Gedanken, und das Herz wurde ihr schwer. Die zaghaften Hoffnungen, die sie sich gemacht hatte, schwanden. Er wollte nicht, dass sie sich an ihn band. Es war nur eine Partnerschaft auf Zeit, die dem einzigen Zweck diente, Gerechtigkeit herzustellen. Danach war alles zu Ende. Deutlicher hätte er es ihr nicht klarmachen können.
Dann waren sie auch schon da, sie fuhren durch das riesige schmiedeeiserne Tor über die Einfahrt auf das herrschaftliche Haus der Martinez zu.
Das beeindruckende Gebäude mit den massiven Säulen und den kunstvollen Karniesen war taghell erleuchtet. Es wurde von vielen Lampen angestrahlt, die auf dem Rasen angebracht waren. Musik ertönte durch die offenen Türen aus dem Ballsaal.
Der Empfang war offenbar in vollem Gang.
Die Limousine hielt vor der breiten Marmortreppe an, die in eine an eine Tempelanlage erinnernde Säulenhalle führte. Das ganze Haus ist auch so etwas wie ein Tempel für Elvira Rosa Martinez, in dem sie alles, woran ihr Herz hängt, horten und sammeln kann, dachte Shontelle leicht ironisch. Die Frage heute Nacht war nur, was Luis' Mutter mehr wert war, ihr Sohn oder das Vermögen? Sie würde sich wahrscheinlich entscheiden müssen.
Luis ließ Shontelles Hand los, ehe er ausstieg und um den Wagen herumlief, um ihr zu helfen, während der Fahrer die Tür aufhielt. Sorgsam hielt sie den langen Rock des Kleids zusammen, damit sie beim Aussteigen mit den Absätzen nicht in dem Saum hängen blieb.
Die Farbe Rot bedeutet Gefahr, schoss es ihr plötzlich in einem Anflug von Panik durch den Kopf. Aber es war zu spät, sie konnte nicht mehr zurück, denn sie hatte Luis das Versprechen gegeben, ihn zu begleiten.
Er nahm ihre Hand in seine, und als Shontelle sich aufrichtete, schob er ihren Arm unter seinen. Mit dieser besitzergreifenden Geste wollte er allen unmissverständlich klarmachen, dass sie zusammengehörten.
"Bist du bereit?" fragte er mit zufriedener Miene.
"Ja." Mutig würde sie den beiden Menschen, die ihr und Luis so viel angetan hatten, gegenübertreten.
Arm in Arm gingen sie die Treppe hinauf, während irgendwo in der Ferne eine Kirchturmuhr Mitternacht schlug.
14. KAPITEL
"Senor Martinez!" rief der ältere Hausangestellte überrascht aus, als, er Luis und Shontelle die Tür öffnete
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